: Eine Mutter stoppt das Schulgebet
Schweigeminute statt Morgengebet: In einer Schule am Niederrhein begann der Tag für die Kinder mit einem Gebet. Eine Mutter wehrte sich erfolgreich. Andere Eltern und die Schulministerin kämpfen vergeblich dafür, dass wieder gebetet wird
VON PASCAL BEUCKER
Eigentlich ist Pesch am Niederrhein eine heile Welt. Gottesfürchtige Menschen pflegen hier ihre Vorgärten, und so lief das Leben in dem zur Stadt Korschenbroich gehörigen und 2.380 Einwohner zählenden Örtchen wie immer. Dazu gehörte, dass die Erwachsenen konservativ wählen und dass die Kinder in der Schule beten. Doch genau hier ist die Welt von Pesch so durcheiandergeraten, dass viele Einheimische schockiert sind: In einer Klasse der Gemeinschaftsgrundschule Andreas muss das morgendliche Gebet ausfallen.
Der Streit begann im vergangenen Jahr, nachdem ein konfessionsloses Elternpaar in der Klasse ihrer Tochter hospitiert hatte. Die Mutter wollte nicht hinnehmen, dass das Kind gemeinsam mit den Mitschülern jeden Morgen zum Unterrichtsbeginn mit gefalteten Händen einen Vierzeiler aufsagen musste: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, / erwarten wir getrost, was kommen mag. / Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, / und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Geschrieben hat die Verse der von den Nazis ermordete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer – was sie allerdings für Atheisten nur unwesentlich erträglicher macht. „Ich war entsetzt“, sagt die Mutter, die zusammen mit ihrem Mann nach dem Studium aus Sachsen ins Rheinland gezogen ist. Sie sah das Grundrecht auf negative Bekenntnisfreiheit verletzt.
Nach erfolglosen Gesprächen mit der Klassenlehrerin und dem Schulleiter beschwerte sich die Mutter bei der Schulaufsicht. Und bekam recht. „Das Gebet wurde durch eine Schweigeminute ersetzt“, berichtet die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Geärgert habe sie allerdings, dass die Klassenlehrerin, die auch evangelische Religionslehrerin ist, es nicht für nötig halte, den Kindern die Änderung ausreichend zu erklären.
Mit dem Betverbot wollten sich indes zahlreiche andere Eltern in der Klasse nicht abfinden. Sie gründeten eine Initiative für die Wiedereinführung des Schulgebets, schrieben Brandbriefe und alarmierten die konservative Lokalpresse. „Die geistige Situation unserer Zeit ist durch ein hohes Maß an Orientierungslosigkeit gekennzeichnet“, schrieben die empörten Eltern in einer Erklärung. Die Zeilen Bonhoeffers hielten sie für einen „sinnvollen Beitrag, unseren Kindern gemeinsame Werte und Normen des abendländischen Kulturkreises zu vermitteln“. Auch die Katholische Elternschaft Deutschlands meldete sich: „Das Bemühen einer Lehrerin um einfachste religiöse Vermittlung wird mit Füßen getreten.“
Mitte Januar schien es, als hätten die Proteste Erfolg. Sogar die christdemokratische Landesschulministerin Barbara Sommer schaltete sich in den Konflikt ein: „Die Ehrfurcht vor Gott ist eines der wichtigsten Erziehungsziele des Schulgesetzes und der Landesverfassung“, ließ sie mitteilen. Es sei daher „nicht hinzunehmen, dass den restlichen Schülern des Klassenverbandes ein kurzes freiwilliges gemeinsames Gebet vorenthalten wird, wenn diese ein solches Gebet wollen“.
Die Elterninitiative jubelte – allerdings zu früh. Denn so kämpferisch die Worte Sommers klingen, am Bundesverfassungsgericht kommt auch die frühere Grundschulrektorin nicht so einfach vorbei. Das hat in einem Urteil festgestellt, ein Schulgebet außerhalb des Religionsunterrichts sei zwar grundsätzlich zulässig – aber nur, wenn Schüler, die oder deren Eltern eine Teilnahme ablehnen, in „zumutbarer Weise“ ausweichen können. Wie das im konkreten Fall jedoch funktionieren soll, weiß bislang niemand. „In der Klasse wird auch weiterhin nicht gebetet“, sagt die Mutter beruhigt, die gegen das Ritual aufbegehrt hatte. Nach den Sommerferien wird auch ihr Sohn eingeschult. Dann dürfte die nächste Klasse der Grundschule gebetsfrei werden.