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Archiv-Artikel

Revolutionäre in Geduld

Die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit lädt in Hamburg zu Gründungstreffen. In den Zeiten von Hartz IV und ALG II wächst die Nachfrage nach Nicht-Neoliberalem. In trauter Eintracht aber verlaufen die Familientreffen der Restlinken nicht

von Alexander Diehl und Markus Jox

Ein wenig geht es zu wie auf einem Familientreffen: Man hängt irgendwie aneinander, ist sich aber nicht immer ganz grün. Beinahe 100 Menschen sind gekommen, trotz Sommerferien. Die beiden Männer auf dem Podium freuen sich darüber, dass es eng wird im Saal der Werkstatt 3 in Ottensen. Beim ersten Treffen, einige Wochen zuvor, waren es nicht mal halb so viele Interessierte gewesen.

Überhaupt könnten Bernhard Müller und Wolf von Matzenau, Koordinatoren der „Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ (WASG) für „Hamburg-West“, zufrieden sein damit, wie sich die Dinge entwickeln – „jede Woche“, sagt von Matzenau, „gibt es eine unglaubliche Vorwärtsbewegung“. Aber das Thema ist ernst: Hartz IV, Agenda 2010, der Umbau der Gesellschaft hin zu Wettbewerb und Ausgrenzung – da ist Schulterklopfen verfehlt.

Von Matzenau hält eine Tageszeitung mit den Antragsformularen für das neue ALG II hoch. Davon seien Menschen quer durch alle Schichten betroffen. Überhaupt stimmten „die alten Muster“, das Denken in links und rechts „überhaupt nicht mehr“ – beides erkläre den „enormen Zuspruch“ für die WASG.

Kein Problem mit holzschnittartiger Sicht

Dann setzt er eine Präsentation in Gang: Zitate aus ideologisch unverdächtigen Medien – „nicht unbedingt unsere Freunde“ – flimmern auf der Leinwand, Statistiken zur vermeintlichen Überalterung der Gesellschaft und Thesen von „richtigen“ und „falschen Analysen“ all dessen. Sie hätten „kein Problem mit einer holzschnittartigen Sicht“, sagt von Matzenau, und zumindest darüber scheinen sich die Anwesenden einig, ob junger Globalisierungskritiker oder gestandener Betriebsrat: Der Feind ist irgendwie neoliberal, er operiert mit „Lügen“ und fingierten Zahlen, und es gilt, sich nicht einlullen zu lassen.

Im CVJM-Haus an der Alster treffen sich zeitgleich die Interessenten aus „Hamburg-Ost“. Der Raum – hohe Stuckdecken, Alsterblick – ist überfüllt, die Luft ist stickig. So manches schwarze Aktenköfferchen ist zu sehen.

Knapp 70 Leute recken die Hälse, um Joachim Bischoff zu sehen, den Hamburger „Landeskoordinator“ der WASG. Bischoff steht da und redet. Eine Hand in der Hosentasche seiner Jeans gestikuliert er mit der anderen. Bischoff redet darüber, dass die WASG „kontinuierlich die herrschenden Politiker unter Druck setzen“ und einen „Korridor öffnen“ müsse – „auch gegen die bestimmenden Wirtschaftsinteressen“. Wenn am Jahresende die „neue Linkspartei“ so aufgestellt sei, dass sie auch bei Wahlen antreten könne, dann sei dies „ein Versuch, die Demokratie noch mal wieder mit Leben zu erfüllen“. Allerdings dürfe man eines bitte nicht vergessen, mahnt Bischoff: „Wir brauchen viele Mitglieder.“

Noch habe die WASG „keine Struktur der Umverteilung“, also kein Geld für Flyer, Broschüren, Veranstaltungen. Schon kursiert ein Spendentopf in den Reihen, Beitrittsanträge werden verteilt. Bald soll es „ordentliche Wahlen“ zu einem Landesvorstand geben, eine „AG Öffentlichkeitsarbeit“ wird angeregt und stößt auf lebhaftes Interesse. Ob unzähliger Wortmeldungen sagt die Versammlungsleiterin: „Ein bisschen revolutionäre Geduld, bitte.“

Nicht alles soll so werden wie das, was wir ablehnen

In Ottensen werden inzwischen Fragen gestellt. Als sich ein junger Mann „vom Spartakist“ zu Wort meldet, wird hier und da gekichert. Immer wieder werde er gefragt, sagt einer, wie sich garantieren lasse, dass nicht die Fehler etwa der Grünen wiederholt werden, „wenn ihr erst mal drin seid“. Dem Modell einer richtigen Partei stehen viele eher skeptisch gegenüber. Eine Frau, die sich „Rosa“ nennt, erklärt, von einer Wahlalternative habe sie sich „etwas anderes versprochen als 30 Jahre alte Gewerkschaftspositionen“.

In St. Georg führt weiter Joachim Bischoff das Wort. In schönster Dialektik formuliert der „Landeskoordinator“ im Stadtstaat, der auch im „kommissarischen Bundesvorstand“ sitzt: „Es geht uns um den Aufbau einer außerparlamentarischen Bewegung, und ein Teil kann die Nutzung der parlamentarischen Option sein.“ Als er gefragt wird, wie man denn verhindern wolle, dass „das nicht alles so wird, wie das, was wir ablehnen“, redet Bischoff von „einer anderen Struktur der Bürgerbeteiligung“. Die WASG wolle „keine Gesellschaft, die nur von ein paar Zirkeln regiert wird mit professioneller Unterstützung von Werbeagenturen und bei minimaler Wahlbeteiligung“.

Kurz vor Schluss meldet sich eine junge Frau zu Wort. Die Versammlung möge doch jetzt bitte endlich mal über irgendwas „abstimmen“, verlangt sie lautstark. „Nee, wir stimmen jetzt überhaupt nicht ab“, bestimmt die Versammlungsleiterin.

„Das ist also die neue Partei“, sagt die junge Frau enttäuscht – und verlässt den Raum.