: Erinnerungen aus Bubenreuth
Models mit blauen Flecken, ungeschminkt: Mit seinen ikonischen Aufnahmen gebrochenen Glamours wurde der Modefotograf Juergen Teller berühmt. Nun rückt er selbst ins Bild: Die Ausstellung „Ich bin vierzig“ in der Kunsthalle Wien zeigt neue Arbeiten, in denen der Künstler seine Herkunft thematisiert
VON JENS KASTNER
Mit einer ganz eigenen Sicht auf die Modewelt und ihre Subjekte hatte der in London lebende Fotograf Juergen Teller zu Beginn der 90er-Jahre weltweit auf sich aufmerksam gemacht. Models mit blauen Flecken, schwanger oder ungeschminkt im Urlaub, legten einen anderen Blick auf die perfektionistische Körperlichkeit frei und setzten zugleich neue Standards für das Genre. Längst einer der bekanntesten Modefotografen der Welt, reüssieren seine Bilder seit einiger Zeit auch im künstlerischen Feld. Warum und wie das möglich ist, zeigt die aktuelle Ausstellung „Ich bin vierzig“ in der Kunsthalle Wien. Obwohl die Schau mit dem Porträt „Kirsten McMenamy 3“ wirbt, auf dem das Modell zwischen den entblößten Brüsten ein mit Lippenstift gemaltes Herz trägt, in das mit Kajal „Versace“ geschrieben steht, führt das Ausstellungsplakat doch auf eine falsch Fährte. Zwar kann man sich auch von der fotogeschichtlichen Bedeutung eines ehemals unkonventionellen Blicks überzeugen, die Teller in seinen Serien „Tracht“ oder „Go-See“ (1998–1999) an den Tag gelegt hat. Die Fotos, damals in I-D oder Vogue echte burner, sind zu Ikonen des gebrochenen Glamours geworden.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht aber vielmehr der Fotograf selber. Den Einstieg in die Teller-Welt bietet ein großformatiges Schwarz-Weiß-Porträt, auf dem der Künstler auf dem Grab seines Vaters steht, nackt, mit Bierflasche am Hals, Zigarette in der Hand und Fußball unterm Spielbein. Das literarische Motiv des wegen seiner Unmöglichkeit symbolisch vollzogenen Vatermordes, die pubertäre Pose eingeordnet in die Ikonografie der grauen Friedhofsfotografie, das ist die Art von Mischung, mit der Teller arbeitet. Eine ganze Reihe von Bildern, die seine Bubenreuther Herkunft thematisieren, veranschaulicht diese Methode. Seine Mutter vor dem Fußballtor seiner Jugend, Einblicke in den holzvertäfelten Hobbykeller oder der Künstler selbst mit „Zwei Schäuferle mit Kloß und einer Kinderportion Schnitzel mit Pommes frites“ (2002) erzählen inhaltlich die leicht abgeschmackte Geschichte von der Verbundenheit des Starfotografen zu seinen Wurzeln. Sie greifen dabei auf popkulturelle Motive ebenso zurück wie auf prototypische Erinnerungsfetzen des deutschen Provinzjugendlichen. Seine Werke schwanken stets zwischen Selbsterkundung und Spektakel. Nicht nur eine Persönlichkeitsstudie liegt hier also vor, sondern die Veranschaulichung eines bestimmten Zugangs zur Fotografie. Und dieser macht auch die Brücke von Bubenreuth nach London aus: Tellers Inszenierungen zielen auf verletzliche Perfektion, spektakuläre Sentimentalität, unverdorbene Gewieftheit, diese Ambivalenzen sind die Charakteristika seiner Arbeiten. Und die lassen sich auch in den bekannten Prominenten-Porträts finden, die die Ausstellung ebenfalls zeigt – Björk ganz unprätentiös, Schwarzenegger albern, Yves Saint Laurent unglaublich. Dass er dabei manchmal auch plump wirkt, liegt in der Natur der Sache.
Indem er sich dann selbst zur Hauptperson fiktionaler Arrangements macht, vollführt er eine mögliche Weiterentwicklung dieses Ansatzes. Die in Wien erstmals gezeigte Serie „Louis XV“ (2004), die in 28 farbigen Bildern komponierte Intimität zwischen Teller und der Schauspielerin Charlotte Rampling vorführen, gehört zu den überzeugendsten Arbeiten der Ausstellung. Neben wunderbaren Kompositionen – Teller nackt auf einem Flügel liegend, dem/der BetrachterIn zugewandt, an dem Rampling im Morgenmantel sitzt und spielt – vermag sie auch, eine gewisse inhaltliche Naivität anderer Arbeiten abzulegen. Im dekadenten Ambiente einer Hotelsuite sehen wir den Künstler mit der Schauspielerin in Posen, die ihn in angreifbarer Nacktheit zeigen und sie nicht festlegen auf eine der drei Stereotype des männlichen Blicks. Für den Künstler als traumhafte Mama, Hure und Heilige zugleich fungierend, bewahrt Rampling aber der/dem BetrachterIn gegenüber stets ihre Autonomie.
Mit seinen früheren Tatort-inspirierten Szenen, die Frauen als leblose Objekte im Wald platzieren, steht Teller kunstgeschichtlich sicherlich nicht traditionslos da. Weiß der Künstler an anderen Stellen Traditionen so scheinbar beiläufig anzugehen, perpetuierte er diese Bilder hier fraglos. Macht er sich selbst nun als Regisseur seinen Inszenierungen zum Hauptdarsteller, ist das, zumindest in der Modebranche, einmalig. Es geht ihm um die voraussetzungsreiche Umsetzung einer guten Geschichte. Darin ist er ein Könner und sicherlich nicht ohne Visionen. An die Grenzen des Darstellbaren, wie der Kurator Ulrich Pohlmann vom Fotomuseum München, meint, geht er aber nicht.
Bis 17. Oktober, „Ich bin vierzig. Juergen Teller“, Katalogheft, Hg. Kunsthalle Wien, 30 €; „Juergen Teller – Charlotte Rampling: Louis XV“, Künstlerbuch, erscheint 2005; „Nackig auf dem Fußballplatz“, 25 €, alle drei Publikationen erscheinen im Steidl Verlag, Göttingen