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Archiv-Artikel

Bayreuths jüngster Ritter

Heilserwartung, Gemeinschaftsritual und Machtmissbrauch: Dafür ist Christoph Schlingensief schon lange Spezialist

Wo Erlösung gesucht wird, lauert Gefahr. Machtmissbrauch liegt in der Luft. Der Theaterregisseur Christoph Schlingensief hat sich schon oft mit den Heilsbringern beschäftigt, mit ihren Versprechen und dem Verlangen nach Opfern. Nur ging es da bisher nicht um „Parsifal“ und den Gral, sondern um die Rhetorik der Politik und wie sie die Gemeinschaft der einen durch den Ausschluss der anderen herstellt.

„Ausländer raus“ hieß eine solche Aktion mit Asylanten in Wien. Rituale, um Gemeinschaft zu beschwören, nicht der Auserwählten, sondern der Ausgestoßenen, das waren die Inszenierungen von Christoph Schlingensief auch schon, bevor ihm in Bayreuth die Inszenierung des „Parzifal“ von Wolfgang Wagner angetragen wurde – sozusagen Matrix all der Figuren, mit deren Schatten er sich schon lange herumschlägt. Denn es geht bei Schlingensief oft um die Hohepriester der künstlerischen Avantgarden, die Erben von religiöser Emphase und dem Verlangen nach Transformation: In ihrer Linie sieht der Regisseur sich selbst und zugleich als ihr aufmerksamster Kritiker.

Dennoch hat er nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihm Wagners Opern nicht gerade nahe lagen. Für seine theatralischen Forschungen über die Funktion von Ritualen, die Nutzung von Angst oder die Übersetzung archaischer Exorzismen in die Strukturen unserer spätkapitalistischen Gesellschaften lagen ihm Reisen zu Klöstern in Nepal oder Voodoo-Kulten in Afrika näher. Denn wie er sich selbst beschreibt – „Ich bin eigentlich ein metaphysisch obdachloser Metaphysiker“ –, so sind auch seine Inszenierungen Suchbewegungen, denen es auf Ankunft und Ziel nicht ankommt. Die Rätsel und die Fragen, „die Kunst des Zwielichts“, sind ihm wichtiger.

Sein Film „Das deutsche Kettensägermassaker“ hat ihn bekannt gemacht. An der Volksbühne Berlin, in Wien und Zürich dockten seine Theateraktionen oft unmittelbar an das politische Tagesgeschehen an, wie die Kunstpartei „Chance 2000“.

Christoph Schlingensief wird gerne als Provokateur beschrieben, ein lautstarker Clown, dessen Dienste von cool kalkulierenden Kulturfunktionären in Anspruch genommen werden, wenn es Defizite an öffentlicher Aufmerksamkeit auszugleichen gilt. Er selbst hat zu Recht beobachtet, wie er dem Tagesspiegel sagte: „Wenn Systeme anfangen zu bröckeln, werde ich gerne bestellt.“ Er weiß seinen Ruf und die öffentliche Erregbarkeit als Partner zu nutzen und hat nie darauf bestanden, eigentlich differenzierter, überlegter und auch bescheidener zu handeln, als das Klischee ihm unterstellt. Er kämpft nicht gegen den eigenen Effekt. Aber der Profit, den er in der Kultur des Spektakels einsammelt, verfestigt sich auch nicht in Kapitalströmen und einem gewinnbringenden Unternehmen Schlingensief.

Mit Wagner mag ihn zwar der narzisstische Rausch der Selbstinszenierung verbinden, aber nicht die Lust, ein eigenes Imperium zu bauen.

KATRIN BETTINA MÜLLER