: Reform mit Nebenwirkung
Laut Gesundheitskonsens bezahlen die Kassen nur noch rezeptpflichtige Arzneien. Darunter fällt vor allem riskante Chemie, für Naturheilmittel müssen Patienten selbst aufkommen. Grüne drängen auf Nachverhandlungen in nächster Allparteienrunde
von ULRIKE WINKELMANN
Eine neue Runde im ewigen Kampf zwischen Schul- und Naturmedizin hat die diesjährige Gesundheitsreform eingeläutet. Rezeptfreie Arzneimittel sollen künftig nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden, sondern vom Patienten.
Kritiker dieser Maßnahme, vor allem die gesamte Naturheilszene, befürchten nun, dass dadurch Naturheilmittel vom Markt gedrängt werden und Ärzte wie Patienten auf kassenbezahlte Chemieprodukte ausweichen. Die baden-württembergischen Grünen haben schon bei den Bundesgrünen gegen dieses „verheerende politische Signal“ mobil gemacht. Die fast ausschließlich mittelständischen Naturarzneihersteller rechnen mit einem Umsatzverlust zwischen 20 und 50 Prozent bei den kassenbezahlten Medikamenten. Deren Anteil an den 23 Milliarden Euro Gesamtarzneimittelausgaben beträgt 1,3 Milliarden Euro.
In den „Eckpunkten“ zur Gesundheitsreform, die im Juli von einer Allparteienrunde ausgehandelt wurden, steht: „Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel werden grundsätzlich in die Eigenverantwortung der Versicherten übertragen.“ Erfasst werden von dieser Regelung nicht nur, aber auch sämtliche Naturarzneien, also homöopathische und anthroposophische Medikamente und pflanzliche Heilmittel. Sie haben keine oder wenige Nebenwirkungen und müssen deshalb nicht extra vom Arzt verschrieben werden. Wenn er dies jedoch tut, wird das Mittel bisher von den Kassen getragen.
Diese Praxis zu beenden würde bedeuten, dass „Nebenwirkungen zur Voraussetzung für Erstattungsfähigkeit werden und das Gesundheitssystem ad absurdum geführt wird“, erklärt Barbara Wais, Geschäftsführerin ders Dachverbands Anthroposophische Medizin (Damid). Der Dachverband hat mit den Homöopathie-Verbänden gegen diesen „Gau in der Gesundheitsreform“ die Initiative „Naturarznei hilft“ gegründet. Sie sammelt derzeit Unterschriften, 54.000 sind es schon. Die Initiative setzt darauf, dass immerhin drei Viertel der Bevölkerung angeben, Naturarzneien zu befürworten. Die Gesundheitsreformer veranschlagen das „Sparpotenzial“ der Maßnahme auf 1 Milliarde Euro. Viele Krankenkassen vermuten jedoch, dass dieser „Eckpunkt“ mehr Kosten verursachen als einsparen wird. Denn Naturarzneien sind günstiger als Chemieprodukte. „In einem ersten Schritt werden wir vielleicht sparen“, sagt etwa Norbert Schnorbach, Sprecher der Securvita BKK. „In einem zweiten Schritt müssen wir von höheren Ausgaben für die Ausweichpräparate ausgehen.“
Es gibt bei der geplanten Neuregelung jedoch Schlupflöcher. Erstens sind Kinder bis zu 12 Jahren ausgenommen. Zweitens soll es eine noch festzulegende Reihe von zehn bis zwölf Krankheiten geben, bei denen verschreibungsfreie Mittel weiterhin erstattet werden sollen – im konventionellen Bereich etwa Aspirin für Schlaganfallpatienten. Die grüne Gesundheitspolitikerin Biggi Bender sagte zur taz, es müsse „natürlich auch pflanzliche Mittel gegen Wechseljahrsbeschwerden geben“. Ziel der Regelung sei es, dass „Leute mit geringfügigen Störungen nicht mehr zum Arzt rennen und sich Medikamente auf Kassenkosten verschreiben lassen“, zum Beispiel Schnupfenpräparate. Niemand wolle jedoch „einen Feldzug gegen Naturarzneimittel führen“.
Der Ablauf der Verhandlungen weist freilich auf das Gegenteil hin. Denn der ursprüngliche Gesetzentwurf von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sah die Kostenübernahme für bestimmte homöopathische und anthroposophische Medikamente ausdrücklich vor. Wieso dieser Passus entfiel, mochte Bender nicht erklären. Sie sagte, Konsens der großkoalitionären Gesundheitsrunde sei, „die therapeutische Vielfalt zu erhalten“. Das könne nur heißen, dass auch die Naturheilmittel berücksichtigt würden. Näheres werde die nächste Verhandlungsrunde am 21. August ergeben.
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