Trendige Messerkinder

Jedes vierte Kind in der Region kommt per Kaiserschnitt auf die Welt – für die Kliniken ein finanziell höchst attraktiver Trend. Ärzte drängen Frauen zur Geburt nach Plan, klagt der Hebammenverband

von MIRIAM BUNJES

Ein etwa 15 Zentimeter langer Schnitt durch Bauchdecke und Gebärmutter und das Baby kann ins grelle OP-Licht blinzeln. Kein tagelanges Warten auf den großen Tag, kein Wehenschmerz, kein Dammschnitt. „Vor allem Erstgebärende sind schnell von den Vorteilen eines geplanten Kaiserschnitts überzeugt“, erzählt ein Essener Krankenhausarzt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Wenn er dann die Vorteile eines Wunschkaiserschnitts für die Kliniken aufzählt, wird vor allem eins klar: Es geht nicht hier nicht um medizinische Notwendigkeiten, sondern ums Geschäft: Die Krankenkassen zahlen 3.000 Euro für eine Entbindung per Kaiserschnitt – doppelt so viel wie für eine natürliche Geburt. „Außerdem müssen nicht so viele Leute stundenlang im Kreißsaal auf das Baby warten.“

Und Zeit ist eben Geld – das spricht die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) im Gegensatz zum Essener Kollegen offen aus. „Wir arbeiten in den Krankenhäusern am absoluten Limit, finanziell und dementsprechend auch personell“, sagt Vizepräsident Klaus Vetter. „Klar, dass viele Ärzte eine geplante Geburt einer natürlichen vorziehen.“

Jedes vierte Kind in Nord-rhein-Westfalen wird inzwischen aus dem Bauch geschnitten, vor fünf Jahren war es noch jedes achte. Der Trend macht den Hebammen große Sorgen. „Ein Kaiserschnitt ist eine schwere Operation“, sagt Angelika Josten, Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Hebammenverbandes. „Er ist mit deutlich mehr Risiken verbunden als eine normale Geburt. Das wird von ihren Gynäkologen offenbar systematisch verschwiegen.“

„Wir wollen keine Schmerzen haben“, sagen die Frauen, die bei Angelika Josten und ihren Kolleginnen zu den Geburtsvorbereitungskursen kommen. Und erzählen, dass es ja so einfach und praktisch ist, genau zu wissen, was da auf sie zukommt. Wissen sie aber gar nicht, sagt Angelika Josten. „Mutter und Kind haben es schwerer, eine Beziehung zueinander aufzubauen“, sagt die Bonner Hebamme. „Und auch aus medizinischer Sicht ist der Kaiserschnitt nicht die bessere Lösung: Die Neugeborenen haben die Lungen oft voll Schleim, weil ihre Brust nicht durch den Geburtskanal gepresst wird. Und die Mutter behält erstens eine Narbe und muss zweitens bei jeder weiteren Schwangerschaft als Risikogebärende eingestuft werden, weil ja auch ihre Gebärmutter vernarbt.“

Das wissen natürlich auch die Gynäkologen. „Sicher klären wir die Frauen mit Kaiserschnittwunsch über diese Risiken auf“, sagt Chefarzt Werner Meier vom Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf – einem der vielen Krankenhäuser, in dem die Schnittzahlen auf über 25 Prozent gestiegen sind. Wenn sie aber schreckliche Angst vor den Geburtsschmerzen hätten, ginge man auf ihren Wunsch nach einem Schnitt ein.

Warum auch nicht, fragt Klaus Vetter von der DGGG. „Die Frauen gehen sonst in ein anderes Krankenhaus und die Klinik verliert eine Patientin.“ Und hat wieder weniger Geld verdient. Jede Steigerung der Kaiserschnitt-Entbindungen um NRW weit ein Prozent kostet jährlich 11 Millionen Euro, hat der Hebammenverband ausgerechnet. Kosten, von denen die Krankenkassen direkt gar nichts mitbekommen. „Wir erfahren nicht, ob es sich bei einem Kaiserschnitt um einen Wunschschnitt oder um eine medizinische Notwendigkeit handelt“, sagt Karin Hendrysiak von der Betriebskrankenkasse NRW (BKK). „Natürlich würden wir lieber nur für Notwendiges Geld ausgeben.“ Die Kollegin von der AOK hält die Mehrkosten durch die steigenden Kaiserschnitte sowieso für unwichtig: „Andere Sachen sind noch viel teurer.“