: Emanzipation vom Diktaturvergleich
Schon wieder hat das „Hannah-Arendt-Institut“ in Dresden für Schlagzeilen gesorgt. Doch die jüngste Affäre könnte sich als Chance erweisen
Die Amtskirchen sind dem Kirchenhistoriker Gerhard Besier ein Dorn im Auge. Das war schon so, als er sich in Heidelberg mit neureligiösen Gruppierungen beschäftigte. Spätestens seit seiner dreibändigen Studie über die Verstrickung von Stasi und evangelischer Kirche in der DDR aber gilt er besonders unter Protestanten in Ostdeutschland geradezu als Kirchenhasser. Um so erstaunlicher, dass Besier der Wunschkandidat der sächsischen CDU war, als diese vor drei Jahren nach einem neuen Leiter des „Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung“ in Dresden suchte – als Nachfolger für Klaus-Dietmar Henke, der über eine Kontroverse um die Bewertung des Elser-Attentats auf Hitler gestolpert war.
In Besiers Aversion gegen die Amtskirchen sehen viele nun eine Erklärung dafür, dass dieser sich jüngst allzu nah im Dunstkreis der Scientology-Pseudokirche bewegt hat. Im Herbst des vorigen Jahres schrieb Besier ein Grußwort zur Eröffnung des Scientology-Büros in Brüssel, in dem die Psychosekte als Vorkämpferin für religiösen Pluralismus gepriesen wurde. Da war Besier allerdings schon einige Monate Direktor des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden, das sich mit Totalitarismusforschung befassen soll – und nicht mit der Verteidigung quasireligiöser Sekten, die selbst totalitäre Züge tragen. Der Direktor entschuldigte sich für diesen „Fehler“ und schien doch nicht vom Thema lassen zu können: Im April beschäftigte sich die von ihm am Hannah-Arendt-Institut herausgegebenen Zeitschrift Religion – Staat – Gesellschaft mit einer Studie über psychische Abhängigkeiten bei Scientology-Mitgliedern, die von der bayerischen Staatsregierung in Auftrag gegeben worden war. Besier schrieb in dem Heft zwar keine Zeile selbst, nicht einmal ein Vorwort. Aber manche der enthaltenen Beiträge waren zum Teil von Scientology selbst in Auftrag gegeben worden.
Proteste hagelte es daraufhin von CDU-Abgeordneten und Sektenbeauftragten in Bund und Ländern. Eine Gruppe von neun Unterzeichnern, darunter die Hannah-Arendt-Zentren in Oldenburg und New York, forderte gar die Aberkennung des Institutsnamens oder den Rücktritt des Direktors. Rechtlich ist ihm allerdings kein Verstoß nachzuweisen, das haben das Kuratorium und Sachsens Wissenschaftsminister Matthias Rößler nun zähneknirschend zugeben müssen. Für Besier ist das Thema damit abgeschlossen, die Zeitschriftenaffäre ein Nachläufer angeblich vergangener Tage.
Vor allem die sächsische Union hat nun aber ein Problem, hatte sie doch mit Besier ihren vermeintlichen Favorit am Institut installiert. Paradoxerweise könnte aber gerade darin die Chance für das Hannah-Arendt-Institut liegen: Erstmals hat es damit ganz offen seine Unabhängigkeit vom politischen Durchgriff demonstriert. Thematisch hat er das Hannah-Arendt-Institut zudem längst vom verengten Blick auf den deutschen Diktaturenvergleich gelöst, den die PDS stets als politischen Affront empfand. Soeben hat die Europäische Union eine halbe Million Euro für die Analyse osteuropäischer Transformationsgesellschaften locker gemacht, und mit den polnischen und tschechischen Nachbarn kommt ein Vorlesungsaustausch und die Gründung von Zweigstellen in Gang. Ein neues Periodikum erscheint.
Vor allem aber hat sich das Klima am Institut deutlich gebessert. Besier hat laut Vertrag noch vier Jahre, bevor ihm die TU Dresden wie schon Vorgänger Klaus-Dietmar Henke ein ziemlich liebloses Lehrstuhlasyl gewähren müsste. In dieser Zeit muss man sich arrangieren. Denn einen erneuten Direktoreneklat können sich weder die Staatsregierung noch das Institut leisten. MICHAEL BARTSCH