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Archiv-Artikel

Ostler wollen auch mal

Westbeamte sollten im Osten Daten für das neue Arbeitslosengeld II erheben – und dafür eine saftige „Buschzulage“ kassieren. Nach Protesten sollen nun auch nicht beamtete Ostler erheben dürfen

VON ANJA MAIER

Ostdeutschland … unendliche Weiten, stillgelegte Chemiekraftwerke und dreispurig ausgebaute Autobahnen, an deren Rändern ABM-Kräfte Rabatten pflegen. Alle achtzig Kilometer steht ein Arbeitsamt, in dem kinderreiche Ostler sich ihr Geld von gutmütigen Westbeamten auszahlen lassen.

So oder so ähnlich müssen sich die Strategen der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg die blühenden Landschaften ausmalen. Anders ist kaum zu erklären, dass die Behörde auf die Idee kam, für die logistische Unterstützung von Hartz IV 800 Beamte der Telekom-Auffanggesellschaft Vivento anzufordern. Die sollen im Osten der Republik die anfallenden Daten der hier lebenden Antragsteller für das Arbeitslosengeld II (ALG II) bearbeiten. Und weil sie so lieb sind und für die gute Sache die Zonengrenze passieren würden, bekäme jeder und jede von ihnen 5.000 Euro Prämie.

Als „Buschzulage“ bezeichnet man dieses in den Augen vieler unsittliche Angebot, das nach der Wende so manchen Staatsdiener aus Oldenburg oder Sindelfingen dazu bewegte, in die neuen Länder zu gehen und hier sein Glück zu versuchen – Amtshilfe genannt. Menschen, die etwas vom an Fallstricken nicht armen bundesdeutschen Verwaltungsrecht verstanden, wurden damals händeringend gesucht.

Vertrauenssache Müller

Doch das ist inzwischen 14 Jahre her. Inzwischen haben die Ostdeutschen sich aus- und fortbilden lassen und verwalten sich und ihre Kommunen, Landkreise und Städte ganz gut selbst. Mit einem wesentlichen Unterschied zum Westen: Sehr wenige Ostler wurden verbeamtet. Das ist politisch richtig, gereicht ihnen aber jetzt zum Nachteil. Denn die Bundesagentur hat für den Ost-Einsatz der ALG-II-Erfassung ausdrücklich Beamte angefordert. Ihre Begründung: Es handele sich bei der Datenverwaltung um eine hoheitliche Aufgabe. Ostler hatten damit nie den Hauch einer Chance, den Job zu kriegen.

Nun ist es ja so, dass die arbeitslose Laborantin Frau Müller aus Dresden tatsächlich wenig Wert darauf legen dürfte, dass die entlassene Kassiererin vom Aldi um die Ecke ihren 14-seitigen Offenbarungseid – Antrag auf ALG II genannt – interessiert durchblättert. Eine solche Aufgabe sollten nur mit Datenschutz vertraute Menschen erfüllen. Aber es ist nicht so, dass das nicht auch eine gut ausgebildete arbeitslose Dresdner Verwaltungsangestellte machen könnte, die natürlich weiß, wie mit persönlichen Daten umzugehen ist.

Interessant an der Angelegenheit ist der Stellenpool, aus dem die Bundesagentur sich bedient. Die Telekom, das ehemals staatliche Unternehmen, das im Zeitraum von 2002 bis 2005 insgesamt 50.000 Stellen abbauen muss, verfügt über unzählige Beamte. Die sind nicht mehr in Staatsdiensten, aber unkündbar. Ebenso wie die ehemals staatliche Bahn werden solche traurigen Versorgungsfälle in Auffanggesellschaften verwaltet. Die halten Beamte in Personalserviceagenturen für alle Eventualitäten vor, und eine solche Eventualität ist nun mit der Datenerhebung für Hartz IV eingetreten. So gesehen ist es also wieder absolut richtig, die Dienste der Staatsdiener in Anspruch zu nehmen.

Nicht richtig aber ist es, ihre Bereitschaft, ihren Job zu machen, zusätzlich zu belohnen, wo ohnehin jeder Beamte Anspruch auf eine 500-Euro-Pauschale bei langen Fahrten zum Arbeitsplatz hat. Das wäre ja, als dürfte Frau Müller aus Dresden dafür, dass sie einen Laborantinnenjob in München annimmt, ein verdoppeltes Weihnachtsgeld beanspruchen. Nein, die Müllerin hat sich und ihre Müller-Kinder zu flexibilisieren: Sie müsste ab Januar, wenn Hartz IV in Kraft tritt, ohne Diskussion und Gratifikation nach München gehen. Sonst droht Leistungsstreichung.

Nun gut, die Sache ist vom Tisch. Das Bundesarbeitsministerium hat die Bundesagentur für Arbeit aufgefordert, die Anforderungskriterien für ALG-II-Datenerheber zu modifizieren. Auch nicht verbeamtete Ostler sollen eine Chance kriegen.

Mediale Ostler-Empörung

Und die Ostler? Die müssen sich von den Medien und ihren Ministerpräsidenten in die Heulecke ziehen lassen. So meldet etwa Spiegel Online: „Empört haben die Ostdeutschen auf die geplante Entsendung von West-Beamten […] reagiert.“ Da müssen die Autoren wohl übersehen haben, dass es „die Ostdeutschen“ so ja längst nicht mehr gibt. Schon allein, weil dieser Landstrich vor 14 Jahren von zahllosen westdeutschen – auch durchaus fleißigen und wohlmeinenden – Beamten geentert wurde. Aber das übersieht sich leicht auf der frisch ausgebauten A 24 Berlin–Hamburg.