: Von Proletkunst zu Business Art und zurück
Ästhetische Ökonomie
„Good Business ist the Finest Art“, behauptete Andy Warhol. Der New Yorker Immobilienspekulant Donald Trump nannte später seine Biografie: „The Art of the Deal“. Und seine Frau Ivana erklärte dazu: „Eis ist Natur, Eiswürfel sind Kunst.“
In der Künstlergruppe „Bild kämpft für Narva“ haben wir uns ebenfalls mit „Business Art“ beschäftigt, wobei es nach einigen rührigen Vermarktungshilfen darum ging, das Privatisierungsverfahren für das Kombinat derart transparent zu machen, dass dabei das für die Restbelegschaft „beste Konzept“ herauskam. Dem Betriebsrat waren vorher alle Papiere der vier Investoren von ebendiesen zugeleitet worden. Tatsächlich kam dann nach etlichen Winkelzügen auch der „ehrlichste“ zum Zuge – ein bayrischer Großbauer namens Härtl. Aber „Arbeitsplätze im Licht“ blieben dabei auch nicht erhalten, und neue kamen nur kurz über die Lohnrunden.
Einer der Bewerber um Narva, Gerhard Fuchs-Kittowski, der sich eigentlich die Klärung und Durchsetzung jüdischer Restitutionen zur Aufgabe gemacht hatte, wobei er gelegentlich eigene „Immobilienlösungen“ ins Spiel brachte, nahm dann den Begriff „Business Art“ auf. Ihm schwebte dabei ein allseits sauberer Deal vor, im Resultat machten ihn aber die restitutionsfeindlichen Gerichte und Ämter mürbe. Schließlich fiel der Begriff an Olek. Er kam aus Odessa und wollte hier ins Import-Export-Geschäft einsteigen – und gleichzeitig darüber schreiben. Bei beidem war er auf meine Mitarbeit angewiesen. Uns schwebte so etwas wie eine Russenmafia als Business Art vor.
Tatsächlich trudelten bald viele Russen-Faxe ein: Hier hatte jemand in St. Petersburg zehn Waggons Holz zu verkaufen, dort wollte ein Großhandel in Saratow tonnenweise deutsche Milchprodukte und Waschmittel kaufen. All dies hielt uns in Schwung: Es musste erst einmal recherchiert werden, wer hier zum Beispiel an dem Holz interessiert war und wer günstig die gewünschte Menge Waschmittel nach dort liefern könnte. Olek und ich hatten kein Geld – und konnten uns deswegen nur mit warmen Worten zwischen den Anbietern und Nachfragern bewegen. Abends machten wir aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen kleine Geschichten. Alles ließ sich gut an und die Warenmengen wurden immer größer. Aber dann kam die Rubelkrise – alle Russlandgeschäfte kamen zum Erliegen und niemand wollte unsere Kolumnen haben. Zuletzt versuchte Olek, arbeitslose Russlanddeutsche als Bauhilfsarbeiter zu vermieten. Ich gab ihm 500 Mark und verabschiedete mich: Das war keine Geschäftskunst mehr, sondern eine Riesensauerei!
In etwas veränderter Form sprechen nun die beiden Künstler Klaus Heid und Rüdiger John von einer „Transferkunst für Wirtschaft und Wissenschaft“, zu der sie in einem gleichnamigen Reader allerhand Interviews mit Experten aus diesen drei Branchen zusammengetragen haben. Inzwischen bekennen sich immer mehr Unternehmer wieder zur Spießerkunst: So hängt im neuen Foyer der „Zweiten Hand“ ein echter Warhol – dafür haben sie dort aus den guten alternativen Arbeitsverhältnissen ein elendes Callcenter gemacht. Ähnlich motzen sich auch andere Betriebe ästhetisch auf und unterlaufen dafür die Tarifverträge.
Gleichzeitig gibt es jedoch in der Wirtschaft auch immer mehr Möglichkeiten für Künstler, ihr „kreatives Potenzial“ nicht nur für alberne Dekorationszwecke einzubringen. Heid und John sprechen optimistisch von einer „ästhetischen Ökonomie“ und meinen damit, dass es jetzt nicht mehr nur um Bedürfnisse geht, die gestillt werden sollen, sondern im Gegenteil um „Begehrnisse, die gesteigert werden wollen“. Walter Benjamin sprach bereits von einem Menschenrecht, gefilmt zu werden. Jetzt sind wir angeblich schon so weit, dass der Künstler als Prototyp des neuen Homo Oeconomicus durchgeht.
Immerhin spricht einer der im Reader interviewten Unternehmer davon, dass das Profitdenken ihn völlig verblöde: Kunst gehöre dahin, „wo sie am meisten fehlt“. Recht eigentlich stehen wir damit wieder am Ausgangspunkt der chinesischen Kulturrevolution: „Künstler in die Produktion!“ Nur dass diese sich jetzt in China befindet – und wir stehen hier: in Berlin – dumm rum. HELMUT HÖGE