Was hat uns bloß so ruiniert?

Die letzten Tage der Popkomm in Köln: Mit ihrer neuen „Public Zone“ unterzog sich die Musikmesse dem Realitätstest. Sein Resultat fiel indes eher dürftig aus, denn das spärlich gestreute Publikum goutierte die Angebote mit freundlichem Desinteresse. Im Fachbereich war die Luft sowieso raus

Die Musikindustrie und das alte Klagelied von den kriminellen Copy-Kids Die Kölner Musikszene wird auch ohne Popkomm überleben

von DANIEL BAX

Zum Schluss hatte man sich noch etwas richtig Neues einfallen lassen: Erstmals wurde, zur letzten Popkomm in Köln vor dem beschlossenen Umzug nach Berlin, eine der drei Messehallen für die Öffentlichkeit freigegeben. Gegen ein kleines Entgelt konnte da der Normalkonsument, der bei der Popkomm bislang immer außen vor bleiben musste, einen kleinen Einblick in das Messegeschehen gewinnen. Und so drängten sich kreischende Teenies gleich zu Dutzenden auf dem engen Areal, das eigens für sie hergerichtet war: Die Deutsche Bahn hatte einen Volleyballkorb aufgestellt, Vodafone warb mit Klingeltönen für sich, und ein „Jägermeister“-Stand verführte zum Jugendalkoholismus. Das zeugte vom Bemühen um Teen Spirit, roch aber stark nach Rummelplatz.

„Es geht um Musik“, stand dennoch in dicken Lettern auf dem Messestand des Musikkonzerns Universal geschrieben – damit auch ja keiner versehentlich auf den Gedanken käme, er sei auf einer Handwerkermesse gelandet. Vielleicht war es aber auch bloß als Selbstbeschwörung an die marode Branche gedacht, in Zeiten schwindender Profitmargen die Inhalte nicht aus den Augen zu verlieren. Doch der Unterhaltungskonzern demontierte seine eigene Botschaft gleich selbst, stützte sich die Theke seines Messestands doch auf leeren, übereinander gestapelten CD-Hüllen. Tonträger zu billigem Tresenmaterial: Auch das schien ein treffendes Sinnbild für die allgegenwärtige Entwertung der Musik.

Andererseits unterzog sich die Popkomm mit ihrer „Public-Zone“, wie der neue Messebereich hieß, aber auch einem interessanten Realitätstest. Schließlich lässt sich am öffentlichen Zuspruch ablesen, wie es um die Attraktivität der Branche bestellt ist. Und da fiel das Fazit nicht allzu schmeichelhaft aus. Denn abgesehen von den unvermeidlichen Teenager-Horden, die sich wie Schwärme von Stechmücken um jene Stände drängten, an denen „Superstars“ wie Alexander oder die No Angels im Akkordtempo ihre Interview- und Autogrammsessions gaben, zeigte sich die Zielgruppe wenig beeindruckt: Egal ob auf der „Spoken Word“-Bühne gerade Kool Savas, der Pöbel-Rapper von der hinteren Schulbank, im Refrain ein fröhliches „Lutsch meinen Schwanz“ skandierte oder ein paar Stunden später dort Frank Goosen mit zwei jugendlichen Schauspielern aus seinem Roman „Liegen lernen“ las, der eben verfilmt worden ist – das spärlich gestreute Publikum goutierte es mit freundlichem Desinteresse.

Noch deprimierender gestaltete sich das Treiben ein Stockwerk darüber, wo eine größere Bühne aufgebaut worden war: Die dunkle Messehalle, die sicher 3.000 Leute fasst, blieb die meiste Zeit über gähnend leer – selbst als sich dort Charts-Helden wie Scooter oder Reamonn auf der Bühne zeigten. Wahrscheinlich war es den meisten ihrer Fans einfach zu blöd gewesen, für diese Kurzgigs ein eigenes Ticket zu lösen, schließlich standen fast die dieselben Namen beim gleichzeitig stattfindenden Ringfest in der Innenstadt auf dem Programm. Dass niemand für etwas bezahlen mag, das es ein paar Ecken weiter auch gratis gibt, wurde der verunsicherten Branche damit auch hier ein weiteres Mal schmerzhaft vor Augen geführt.

Da wirkte es nur noch wie das Pfeifen im Wald, wie man mit zweifelhaftem Erfolg verzweifelt versuchte, bei der Zielgruppe das Unrechtsbewusstsein zu schärfen. Zum Konferenzthema „Downloaden – aber fair“ sangen drei Herren von der Musikindustrie, die braun gebrannt in ihren dunklen Anzügen wie die Paten eines halbseidenen Gewerbes wirkten, zusammen mit den beiden Rappern Afrob und Samy Deluxe das alte Klagelied von den kriminellen Copy-Kids. Statistisch unterfüttert wirken die Dimensionen ja tatsächlich bedrohlich. So berichteten Afrob und Samy Deluxe, als ihre letzte Single erschienen sei, seien in den ersten beiden Wochen fast genau so viele Download-Versuche im Internet gezählt worden, wie sich in der gleichen Zeitspanne ihre Alben im Laden verkauft hätten, und das waren ungefähr 80.000. Ihr eigenes HipHop-Label Eimsbush müssten sie deswegen wohl schließen, folgerten sie daraus. „Die Leute denken ja, wenn du auf MTV neben Madonna und Britney Spears läufst, dann bist du so reich wie die“, klagte Afrob. „Aber so ist das nicht: Ich fahre in Hamburg immer noch mit Bahn und Bus.“ Was hat uns bloß so ruiniert?

Auf dem traditionellen, vom Publikum abgeschirmten Messe-Parcours der Popkomm war die Luft endgültig raus: Noch weniger Aussteller, noch weniger akkreditierte Gäste als im letzten Krisenjahr machten die diesjährige Popkomm zu einer der entspanntesten in ihrer Geschichte. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s deutlich unbeschwerter. Einige Aussteller gingen noch ihrem gewohnten Betrieb nach, aber insgesamt herrschte die unaufgeregte Abschiedsstimmung einer Auszugsparty vor. Alles auf Übergang – bis zum nächsten Jahr dann in Berlin. Zuweilen wirkte es sogar so, als sei die Popkomm bereits dorthin umgezogen und man handele hier nur noch ein paar Nebensächlichkeiten ab. Die meisten Konferenzen dümpelten träge vor sich hin, wenn sie nicht gleich ganz ausfielen. Und selbst die „Keynote“-Reden der Musikbosse am Rande der Messe fielen ungewohnt kleinlaut aus: Gerd Gebhart, der Chef des Bundesverbands der Phonographischen Industrie, scherzte, er habe seinen Vortrag gar nicht halten wollen: Schließlich seien alle Musikmanager, die in den Jahren zuvor an gleicher Stelle eine Rede gehalten hätten, ihren Job inzwischen los.

Selbst das Rahmenprogramm der Messe, die Konzerte und Partys, waren in diesem Jahr auf einige wenige Kernveranstaltungen geschrumpft. Zu den erfolgreichsten darunter zählten jene, die auf einer gewachsenen Szene vor Ort aufbauen konnten: Das war der „L’Age d’or“-Abend mit den Sternen und Stella genauso wie die Lange Nacht der Elektronik des Kölner „Kompakt“-Labels. Das war die „Monsters of Spex“-Party, die „World of Reggae“-Nächte sowie das fast schon traditionelle „Introducing“-Festival mit Blumfeld und Zoot Woman, die alle drei von örtlichen Musikmagazinen initiiert wurden. Und das waren die Global Nights im Stadtgarten sowie die Summer Stage, die mit okzitanischem Raggamuffin und diesjährigem Südfrankreich-Schwerpunkt den Tanzbrunnen am Rheinufer okkupierten. Die Kölner Musikszene wird auch ohne Popkomm überleben: Sie besitzt genügend Substanz, um an die Stelle des bisherigen Beiprogramms etwas Neues zu setzen. Aber kann die Popkomm auch ohne Köln überleben? Das muss sich erst noch zeigen.