: Der verdrängte Schlächter
von DOMINIC JOHNSON
Kurz vor seinem Tod erlebte Idi Amin eine Wiederauferstehung. Als in Uganda die Nachricht umging, der Diktator liege in seinem saudi-arabischen Exil im Koma, kamen Erinnerungen hoch und füllten Kolumnen in der ugandischen Presse: Erinnerungen an eine vergangene Zeit, als Uganda in der Welt den Platz einnahm, den heute Länder wie Kongo oder Liberia besetzen, und als Idi Amin als Schlächter Afrikas berüchtigt war.
Es waren nicht so sehr die grausamen Geschichten aus der Amin-Herrschaft von 1971 bis 79: von den 300.000 bis 500.000 Toten; von der Folter und Hinrichtung selbst engster Vertrauter; von der Ehefrau, die erst zerstückelt wurde und der man dann vor der Zurschaustellung der Leiche die Arme falsch herum annähte; von den bizarren Riten, die Idi Amin zuweilen in Einsamkeit an den Leichen seiner Opfer vollzog und die ihm den Ruf des Kannibalen einbrachten. Es war die plötzliche Realisierung, dass Uganda sich mit dieser düsteren Zeit nie auseinander gesetzt hat.
Musterland und Kriegsgebiet
Denn heute ist Uganda zwar eines der dynamischsten Länder Afrikas, mit hohen Wachstumsraten, kultureller Modernität und konstant guten Noten der Investoren und Geldgeber. Doch zugleich tobt in Uganda einer der brutalsten Bürgerkriege des Kontinents, in dem religiös-fundamentalistische Rebellen im Norden des Landes regelmäßig Tausende Kinder entführen und mit diesen zwangsrekrutierten Kämpfern ein Drittel des Staatsgebiets zur Kriegszone machen. Es ist eine kuriose Gleichzeitigkeit von Fortschritt und Archaismus, um die sich Ugander gern drücken. Die Figur Idi Amins spielt dabei eine zentrale Rolle. Er ist, schrieb Ugandas bekanntester Kommentator Charles Onyango-Obbo, im kollektiven Gedächtnis „der Fleisch gewordene Teufel, den wir brauchen, um sämtliche Schuld auf sich zu nehmen.“
Schließlich war es ja nicht so, dass ganz Uganda vor Angst gezittert hätte, als Idi Amin, der ehemalige Boxchampion des Landes, per Militärputsch an die Macht kam. Nichts prädestinierte Amin zum höchsten Staatsamt, und genau das war seine Stärke.
1946 wurde er Soldat. „Er entsprach dem Bild der Kriegerstämme Ugandas“, schreibt Siraje Lubwana in einem biografischen Abriss: „groß, schwarz, ungelenk, ungebildet und folgsam.“ Er diente mit der britischen Kolonialarmee in Kenia beim Krieg gegen die Mau-Mau-Aufstände und später in Nordostuganda bei der Unterdrückung von Fehden zwischen den Nomadenvölkern der Karimojong und Pokot. Nach der Unabhängigkeit Ugandas 1962 ließ sich Amin vom neuen Präsidenten Milton Obote in den Nordosten des Kongo schicken, um dort Rebellen gegen die entstehende Diktatur von Joseph Mobutu zu unterstützen. Er sollte für die kongolesische Guerilla Elfenbein und Gold verkaufen, um Waffen zu besorgen. Stattdessen behielt er den Erlös und Kongos Rebellen gingen pleite. Diese Geschäftspraktiken haben im Kongo Schule gemacht, ohne sie wäre Afrikas Geschichte vielleicht anders verlaufen.
Seinen Präsidenten stürzte der mittlerweile zum Armeechef aufgestiegene Amin, als der sich auf einer Auslandsreise befand. Es war eine Art persönliche Entkolonisierung, die den Ugandern als Modell dienen sollte und ihnen zum Verhängnis wurde. Denn in seinem Vorsatz, das Land von allen Fesseln zu befreien, zerschlug der Diktator alles, was Sicherheit und Stetigkeit in Uganda bot. Nach dem kurzen Moment der Freiheit, als politische Gefangene freikamen und die Bürger zum aufrechten Gang ermutigt wurden, kam eine Willkürherrschaft. Immer öfter verschwanden Regierungsgegner. Bereits 1974 schätzte die UNO die Zahl der Opfer auf bis zu 250.000. Die Foltermethoden überstiegen oft menschliches Vorstellungsvermögen. Moses Isegawa beschreibt in „Abyssinische Chronik“ die Misshandlung einer politischen Gefangenen mit einer lebenden Schlange.
Lächeln über den sanften Riesen
Idi Amin, der kaum lesen konnte, bestimmte die Orientierung des Staates in Impromptu-Reden auf Touren durchs Land, wo seine Minister eifrig die jeweils neueste spontane Verkündung aufschrieben und hinterher versuchten, daraus Politik zu machen. „Er versprach den Himmel auf Erden, aber es gab keine Möglichkeit, seine Befehle mit ihm zu vertiefen, und kein Geld, um dafür zu bezahlen“, analysierte sein Gesundheitsminister Henry Kyemba, nachdem er 1977 mit Idi Amin gebrochen hatte.
So trieb Amin sein Land in den Ruin. Er verfügte die Enteignung und Vertreibung der alteingesessenen asiatischen Händlerschicht, Zehntausende mussten das Land verlassen. Ugandas Wirtschaft brachte das nachhaltig durcheinander. An die Stelle einer geordneten Wirtschaft trat allgemeine gegenseitige Ausplünderung. Die einst blühende Exportwirtschaft wurde auf Tauschhandel zum privaten Profit umfunktioniert: Flugzeuge voller Kaffee landeten im englischen Stansted, damals ein kleiner Provinzflughafen, und flogen mit unter anderem von den USA gelieferten Waffen, Geld und Luxusgütern zurück.
Erst ein US-Handelsembargo im Oktober 1978 setzte dem ein Ende. Es hatte lange gedauert, bis die internationale Gemeinschaft Idi Amin ernst nahm. Am Anfang überwog das Belächeln. „Der sanfte Riese“ war das geflügelte Wort für Idi Amin auch noch dann, als die Todeszahlen in die Hunderttausende gingen. Viele lachten darüber, dass Amin sich „König von Schottland und Hawaii“ nannte. Der Spiegel nannte ihn in einer Titelgeschichte 1975 einen „Neger, so richtig, wie weiße Rassisten ihn mögen“, tappte aber zwei Jahre später – nach der aufregenden Geiselbefreiung von Entebbe durch israelische Spezialkommandos – selbst in die Falle: „Wenn der Mann die Chance auch nur einer Volksschulbildung gehabt hätte, wäre er heute mit Sicherheit DER Führer Afrikas.“
Großbritannien, Kenia und Israel hatten Idi Amins Putschistenregime 1971 als Erste anerkannt. Später brach Amin mit den USA, Großbritanien und Israel und wandte sich der Sowjetunion, vor allem aber Libyen zu. Zunächst hatten Engländer Amins Geheimdienst geführt, auch zu Deutschland pflegte der Schlächter beste Beziehungen: Deutsche trainierten Ugandas Fußballteam und bildeten Journalisten im Staatsfernsehen aus. Der deutsche Botschafter Rolf Ellerkmann galt als Claqueur des Diktators, der einer der größten Empfänger deutscher Entwicklungshilfe in Afrika war, und noch 1977 kaufte Idi Amin Mercedes-Panzerwagen. Der Diktator bedankte sich auf seine Weise: „Hitler hat zu Recht sechs Millionen Juden bei lebendigem Leib mit Gas verheizt, denn die Juden handelten gegen die Interessen der Völker“, sagte er.
Das war schon gegen Ende seiner Karriere, die ebenso wie ihr Beginn von Afrikas Geschichte prägenden Ereignissen bestimmt wurde. 1978 marschierte Uganda in Tansania ein, um angebliche koloniale Grenzfehler zu korrigieren. Tansania schlug zurück und marschierte seinerseits in Uganda ein. Am 11. April 1979 standen die Tansanier zusammen mit ugandischen Rebellen in der Hauptstadt Kampala. Es war ein Tabubruch – die erste postkoloniale Einmischung in innere Angelegenheiten eines afrikanischen Landes und der Beginn einer Serie von Militärinterventionen, die sich auf dem Kontinent seitdem immer weiter ausdehnen und heute zum gängigen Mittel der Politik geworden sind.
Ins Exil und vergessen
Als Amins Schreckensherrschaft zu Ende ging, hatte er sich schon abgesetzt. Kurze Zeit später tauchte er als Pilger in Saudi-Arabien auf, wo er bis zu seinem Tod am vergangenen Samstag lebte.
So komplett er aus dem öffentlichen Leben verschwand, so ausgelöscht schien die düstere Zeit nachher aus Ugandas Geschichte. Der Tag von Amins Sturz ist erst seit 2002 Feiertag. Nie hat Uganda seine Auslieferung betrieben oder auch nur pro forma eine Anklageschrift gegen ihn zusammengestellt. Ein Grund war sicher, dass auf die acht Jahre Idi Amin sieben Bürgerkriegsjahre folgten, in denen Uganda noch tiefer ins Chaos glitt, bis der heutige Präsident Yoweri Museveni 1986 den Bürgerkrieg gewann. Aber vielleicht war es für Uganda auch wichtig, Idi Amins Terrorherrschaft als Betriebsunfall zu betrachten. Egal ob das stimmt oder nicht.