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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Grübeln über die Traumzeit

Von Betrunkenen, die den Superkonjunktiv suchen, und der allerschönsten Frau der Welt

Am Sonntagmittag gegen eins läutete es. Vor der Tür meiner Wohnung standen ein blasser, nach „Kleiner Feigling“ duftender Mann Mitte 20 mit schwarz gefärbten Haaren und eine stark schwankende junge blonde Frau in Bauchfrei und Arsch-frisst-Hüfthose. „Ich wollt ma fragen“, lallte der Mann, „meine Freundin iss ’n bisschen betrunken und weiß nicht mehr, wo se wohnt …“ „Bei mir wohnt sie meines Wissens nicht“, sagte ich. „Aber es steht doch Züllll…, Züüüü… an Ihrer Klingel“, sagte der Mann und bellte seine Freundin an: „Wie heiß du noch ma? Du heiß doch Züüüül… irgendwas, oder?“ „Pauly-Wittenberg“, sagte die Freundin ziemlich deutlich. „Iss das hier Kottbusser Damm 27?“, fragte der Mann unbeeindruckt.“ „Nö“, sagte ich, „Skalitzer Straße 19.“ „Aber das is doch der vierte Stock“, fuhr er fort. „Treffer“, sagte ich, „aber das falsche Haus. Tschüss.“

„Meine Freundin hat bei ‚Deutschland sucht den Superstar‘ mitgemacht!“, rief der Mann mir durch die geschlossene Tür nach.

Dieser letzte Satz brachte mich ins Grübeln. Sehen so deutsche Superstars aus? Leider habe ich die Show zu selten verfolgt, um ihre Protagonisten zu kennen, ich weiß nur, dass in der Jury eine große Frau namens Alexandra Kamp sitzt, die ich mal in einer Fernsehverfilmung des Barbara-Wood-Buchs „Traumzeit“ gesehen habe. Der Film war einer der absoluten Tiefpunkte der Glotze. Das Buch ist ohnehin schon doof, eine schwülstige, halbesoterische Geschichte einer Frau, die in Australien die Liebe und ihr mystisches Wappentier oder so ähnlich findet, die Verfilmung ist fast noch schlimmer. Jene Alexandra Kamp, von der ich mir darum gar nicht vorstellen kann, dass sie eine echte Schauspielerin ist, sitzt aber in der Superstar-Jury und beurteilt die besten Kinder, die etwas vorsingen, die schönsten Bademoden-Models, die besten Erwachsenen, die etwas vorsingen, und die spaßigsten Comedians. Das verstehe, wer will.

Die Frage ist nun, in welcher Kategorie das betrunkene Fräulein Pauly-Wittenberg, Kottbusser Damm 27, mitgemacht haben könnte. Wahrscheinlich Comedian. Die Situation an meiner Haustür entbehrte schließlich nicht einer gewissen Komik. Andererseits – vielleicht ist sie ein Model? Man weiß ja nicht, wie Models aussehen, wenn sie betrunken sind. Ich fand das Fräulein nun nicht so hübsch, aber Schönheit ist ja relativer, als man denkt: Zwar scheint der soziobiologische Ansatz meistens zu stimmen, nach dem die Menschen mit den ebenmäßigsten Gesichtern, den vollsten Lippen und den glänzendsten Haaren auf der ganzen Welt als „schön“ gelten, weil in den Genen der ganzen Welt geschrieben steht, dass gesund aussehende, gut durchblutete und ebenmäßige Menschen prima Kinder zeugen und austragen können.

Andererseits habe ich neulich von einer kleinen matriarchalen Gesellschaft in Mikronesien (einer Inselgruppe im Pazifik) gehört, in der eine Verhaltensforscherin einen höchst interessanten Schamlippenschönheitskult entdeckt hat: In den alten Entstehungsmythen dieser Kultur wird von „der allerschönsten Frau der Welt“ erzählt, die beeindruckende 247 Schamlippen, also wohl eher Vaginalfalten hat und ebendarum die allerschönste Frau der Welt ist. Im Mythos findet ein laufender Penis die Multischamlippenfrau, und in einem kosmischen weiblichen Orgasmus wird die Welt erschaffen. Wenn das nicht eine bestechende und geradezu neidisch machende Vorstellung ist! Und die Schönheit einer Frau scheint also nicht auf sämtlichen Breitengraden nach großen Augen und glänzendem Haar gemessen zu werden, sondern woanders guckt man ganz woandershin.

Keinesfalls möchte ich jetzt irgendwelche Rückschlüsse auf das betrunkene Fräulein Pauly-Wittenberg, Alexandra Kamp oder etwa Hugo Egon Balder ziehen (der sitzt auch in der Jury, und bei ihm muss man sich vor Augen führen, dass er immerhin 1967 die Psychedelic Band Birth Control gegründet hat). Ich glaube vielmehr, um die Pauly-Wittenberg-Geschichte abzuschließen, dass der vergessliche Freund des vergesslichen Fräuleins mir eigentlich nachrufen wollte: „Meine Freundin könnte bei ‚Deutschland sucht den Superstar‘ mitmachen, also sei gefälligst nett zu uns!“ Aufgrund des Promillegerangels in seinen Adern hat er nur Konjunktiv mit Perfekt verwechselt. Und das kann ja mal passieren, selbst in den allerschönsten Familien.

Fragen zur Schönheit? kolumne@taz.de