: Chávez darf bleiben
Mit großem Pathos feiert Hugo Chávez den Erfolg seines Referendums. Mindestens zehn weitere Jahre werde er als „Soldat des Volkes“ den Weg zum „sozialistischen Vaterland“ weitergehen
Ende 1999 ließ Venezuelas Präsident Hugo Chávez eine vollkommen neu ausgearbeitete Verfassung vom Volk bestätigen. 71 Prozent der Venezolaner stimmten für die „Bolivarische Republik“. Sie stärkten die Macht des 1998 ins Amt gewählten Präsidenten, aber auch ihre eigene. Zwei neue Gewalten (die Bürger- und die Wählergewalt) sind seitdem in der Verfassung verankert. Der Senat wurde abgeschafft, ein Einkammerparlament bildet seither die Legislative in der repräsentativen Demokratie. Eine größere staatliche Kontrolle über die Wirtschaft wurde angestrebt. Der Erdölkonzern Petróleos de Venezuela blieb in staatlicher Hand. Eine Garantie für soziale Sicherheit und ein höherer Kündigungsschutz wurden festgeschrieben. Auch das „Rückrufreferendum“ von 2004 wurde durch die 99er-Verfassung erst möglich. Die Opposition warf Chávez Unfähigkeit im Amt vor, doch 58 Prozent der Wähler wollten ihn als Präsidenten behalten. Ende 2007 versuchte Chávez, eine „sozialistische“ Verfassung per Referendum durchzusetzen. Doch knapp 51 Prozent der Wähler lehnten die 69 von ihm geplanten neuen Artikel ab, darunter auch die jetzt erreichte Möglichkeit zur Wiederwahl des Präsidenten. BOE
VON GERHARD DILGER UND JÜRGEN VOGT
Drei Minuten nach der Verkündung des Wählervotums tritt Hugo Chávez an den Balkon des Miraflores-Palastes und stimmt die Nationalhymne an: „Ruhm dem tapfren Volke, das Joch warf es ab, achtend das Gesetz, die Tugend und Ehr’.“ Zusammen mit Zehntausenden seiner Fans zelebriert er die Hymne, die Strophen werden mehrmals geschmettert.
Anschließend, alle Radio- und Fernsehsender Venezuelas sind zusammengeschaltet, bejubelt der Präsident den „klaren Sieg des Volkes, der Revolution“. Nach Auszählung von gut 94 Prozent der Stimmen haben 54,4 Prozent der Wähler für eine Handvoll umkämpfter Verfassungsänderungen gestimmt. Künftig darf der Staatschef – ebenso wie sämtliche gewählten Mandatsträger – ohne jede Einschränkung beliebig oft zur Wiederwahl antreten.
Chávez sieht darin den Auftakt zu einer neuen Etappe der „Bolivarischen Revolution“, die mit seinem ersten Wahlsieg im Dezember 1998 begonnen hatte. „Heute habt ihr über mein politisches Schicksal entschieden“, ruft er in der Nacht zum Montag in Caracas, „mein Leben lang werde ich mich im Dienst des venezolanischen Volkes aufzehren“.
Über eine gute Stunde bekräftigt er seine Absicht, „als Soldat des Volkes“ den Weg zum „sozialistischen Vaterland“ weiterzugehen – mindestens weitere zehn Jahre lang. Ende 2012 steht die nächste Präsidentenwahl an.
Doch die „strategischen Leitlinien“ für den Sozialismus, die der 54-jährige Präsident am Wochenende notiert haben will, bleiben gewohnt vage. 2009 soll der „Konsolidierung des Erreichten“ gewidmet werden – allerdings mit den nötigen Korrekturen: „Kampf der Unsicherheit, Kampf der Korruption, der Verschwendung, der Bürokratie, der Ineffizienz“, ruft Chávez. Er beschwört „neue Institutionen in der Hand neuer Männer und neuer Frauen“.
„Wir werden Venezuela in eine internationale Macht verwandeln“, verkündet der linke Caudillo. Nicht er sei „ewig“, beteuert er, der neulich schon mal den Horizont der „Revolution“ bis 2049 abgesteckt hatte, sondern nur Gott und Vaterland. „Er bleibt, er bleibt, der Comandante bleibt“, tönt es aus dem roten Menschenmeer.
Kurz darauf räumen die Gegner der Verfassungsänderung ihre Niederlage ein. Ein Vertreter der oppositionellen Studierenden wirft der Regierung jedoch Machtmissbrauch zugunsten der Reform und die Kriminalisierung der Gegenbewegung vor. Vorsichtiger Optimismus kommt von den bürgerlichen Parteien. „Wir haben die 5-Millionen-Marke an Stimmen überschritten, während Präsident Chávez weiter an Unterstützung verliert“, sagt Omar Barboza, ein führendes Mitglied der Liberalen von „Eine neue Zeit“. Das bedeute für ihn, dass die demokratische Alternative weiter zulege.
Chávez solle seinen „Pyrrhussieg“ verwalten, meint Ismael García von der sozialdemokratischen „Wir können“-Partei, die sich vor anderthalb Jahren vom Präsidenten losgesagt hatte. Er ruft die Opposition dazu auf, bis 2012 noch stärker zusammenzuarbeiten, um Chávez’ „autokratisches Projekt“ zu stoppen, das im Gegensatz zur „demokratischen Verfassung von 1999“ stehe. Beide Politiker verweisen auf den massiven Einsatz des Staatsapparates zugunsten des Präsidenten. Die im November gewählten Amtsträger der Opposition hingegen würden „erpresst und überrollt“, so García.
Dem ersten, klaren Teilergebnis zufolge stimmten über 6 Millionen Menschen für die Reform, 5 Millionen sprachen sich dagegen aus. Rund 17 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Nur 5,6 Millionen davon waren diesmal der Wahl ferngeblieben, was für eine hohe Mobilisierung auf beiden Seiten spricht. Im Dezember 2007, bei der missglückten, „sozialistischen“ Rundumreform, waren vor allem treue Chávez-Wähler zu Hunderttausenden zu Hause geblieben. Damals hatte der Präsident die Niederlage freimütig eingeräumt und gelobt, 2013 abzutreten.
Aber schon wenige Monate später startete er einen neuen Anlauf. Die jetzt genehmigten Änderungen, einschließlich der Wiederwahloption für Gouverneure, Bürgermeister oder Stadträte, hatte das Parlament Mitte Januar durchgewinkt.
„Nach der Niederlage von 2007 und dem symbolischen Erfolg der Opposition bei den Regionalwahlen 2008 hat Chávez jetzt wieder die Wahrnehmung von Stärke, ja Unbesiegbarkeit zurückerlangt“, analysiert Luis Vicente León vom Umfrageinstitut Datanálisis. Beobachter wie José Virtuoso rechnen damit, dass Chávez noch mehr als bisher auf plebiszitäre Elemente setzen wird: „Mehr Persönlichkeitskult, weniger Staat“, prognostiziert der jesuitische Politologe, und: „Venezuela bleibt in zwei antagonistische Hälften gespalten, die leider keinen gemeinsamen, integrativen Diskurs finden.“