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Archiv-Artikel

Herne gibt sich ein Armutszeugnis

Seit mehr als zwei Jahren sitzen Herner Politiker, Verwaltungsbeamte und Wohlfahrtsverbände um einen „Runden Tisch Kinderarmut“. Offenbar erfolglos: Der Abschlussbericht liefert weder Fakten noch Handlungsansätze

HERNE taz ■ „Armutsberichte ziehen die Herner Bevölkerung nur psychisch runter“, sagt der sozialpolitische Sprecher der Herner SPD. Volker Bleck findet es deshalb nicht so schlimm, dass im Abschlussbericht des Runden Tisches Kinderarmut eigentlich nichts über Hernes arme Kinder drinsteht. „Im Herner Sozialbericht stehen genügend Fakten über Sozialhilfebezug und Arbeitslosigkeit drin“, sagt der Sozialdemokrat. „Alle politischen Akteure kennen die Probleme dieser Stadt, die muss man nicht noch extra in einem Armutsbericht zusammenfassen.“ Mehr als ein weiterer Schlag gegen das Selbstbewusstsein der Herner Bevölkerung sei das nicht und in einer derart finanzschwachen Kommune wie Herne seien aufwändige soziale Lösungen sowieso nicht umsetzbar.

Die hat der Runde Tisch Kinderarmut auch nicht zu bieten. „Armut hat mehr als eine monetäre Seite, sie zeigt sich in vielen Facetten“, stellt der abschließende Bericht fest. Man wolle deshalb lokale Handlungsansätze entwickeln und praktisch umsetzen. Dafür schrieb man alle Tageseinrichtungen für Kinder und Jugendliche an und befragte sie nach ihren Strategien. Es antworteten ganze sieben. Daraus erstellte der Runde Tisch mehrere Handlungsvorschläge wie zum Beispiel „intensive Elternarbeit“ und „gemeinsames Frühstück“.

Und auch ein „konkretes Projekt“ stellt der Bericht da: Zusammen mit der Elternschule des St. Anna Hospitals wollte der Runde Tisch sozial schwache Mütter in das so genannte Prager-Eltern-Kind-Programm (PEKIP) integrieren. Im PEKIP spielen Eltern mit ihren nackten Babys auf warmen Matten. Das fanden die sozial schwachen Herner Mütter aber offenbar nicht so wichtig – es meldeten sich zwei an, kamen aber nie.

„Ein fachliches Armutszeugnis“ nennt Norbert Kozicki von der Jugendorganisiation „Falken“ das Papier und das Vorgehen der Kinderarmutsexperten. „Es steht nichts über Migrantenkinder, nichts über den Gesundheitszustand armer Kinder und nichts über die Jugendarbeit in dem Bericht“, sagt Kozicki. „Man erfährt nicht einmal etwas über die Anzahl armer Kinder in Herne – kein Wunder, dass da dann auch kein vernünftiger Handlungsansatz herausgekommen ist.“

Dabei hätte Herne den bitter nötig: Von den 8.000 SozialhilfeempfängerInnen sind 4.000 unter 18, so die kommunale Statistik. Und im Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung werden fast die Hälfte aller Herner Stadtteile von den Sozialforschern als „problematisch“ eingestuft. „Solche Daten will die Stadt offenbar nicht in ihrem Bericht stehen haben“, sagt Kozicki. Er will nach der Kommunalwahl erneut energisch an den Rat appellieren, „endlich eine vollständige Armutsberichterstattung in Herne zu etablieren.“

„Wir haben nie vorgehabt, einen Armutsbericht zu verfassen“, informiert indes die Stadtverwaltung. „Der Abschlussbericht des Runden Tisches zur Kinderarmut hat deshalb gar nicht den Anspruch, die Situation armer Kinder in Herne darzustellen“, sagt Stadtsprecherin Jutta Daniels. „Es war lediglich ein Meinungsaustausch von Experten. Für eine umfangreiche Datenerhebung haben wir auch gar kein Geld.“ Kritik an dem Bericht und an der Arbeit des Jugendhilfeausschusses sei deshalb „unangebracht“.

Man hätte problemlos aus den vorhandenen Daten der Kommunalstatistik einen Armutsbericht erstellen können, meint indes der jugendpolitische Sprecher der Herner Grünen Daniel Kleiböhmer, der mit am Runden Tisch saß. „Die Stadt Herne wehrt sich aber schon seit Jahren dagegen.“ MIRIAM BUNJES