Mit Stüssgen stirbt eine echt kölsche Marke

„Ich jon zum Stüsschen“ ist in Köln fast zu einem Synonym für „Ich gehe einkaufen“ geworden. Damit ist bald Schluss. Die 1897 von Cornelius Stüssgen gegründete Lebensmittelfirma wird es bis spätestens Ende 2005 nicht mehr geben. Die Rewe-Handelskette strebt eine einheitliche Vertriebslinie an

Von Andrea Martens

Beim Stüssgen in der Kölner Severinstraße herrscht trübe Stimmung unter den Kunden. „Der Stüssgen gehört zu Köln, so lange ich denken kann“, sagt eine 68-jährige Rentnerin. Und eine Hamburger Sekretärin, die erst seit einem Jahr in der Stadt am Rhein lebt, erklärt: „Jetzt habe ich mich gerade mal an diesen seltsamen Namen gewöhnt, da wird er auch schon geändert.“

Lange werden die Kölner ihre Einkäufe nicht mehr in den liebgewonnenen Supermärkten mit dem gelb-roten Schriftzug tätigen können. Dabei ist der Satz „Ich jon zum Stüsschen“ doch fast schon zu einem Synonym für „Ich gehe einkaufen“ geworden. Aber damit ist es bald vorbei.

Zwar bleiben die Geschäfte selbst bestehen. Der Name muss jedoch weichen. Denn Dieter Berninghaus, neuer Chef der Supermarktkette Rewe, zu der Stüssgen gehört, wartet mit einem veränderten Filialprogramm auf. Unterschiedliche Namen und Konzepte seien einfach teurer als eine einheitliche Vertriebslinie, heißt es bei Rewe. Daher wird Stüssgen kurzerhand umgetauft und heißt in Zukunft miniMal – wie alle Supermärkte der Rewe-Kette.

Verkauf von 4 bis 23 Uhr

Seinen diesjährigen Geburtstag darf der Traditionsmarkt wohl noch unter seinem alten Namen feiern. Den nächsten wird er so vermutlich nicht mehr erleben. Denn bis spätestens Ende 2005 soll das Rewe-Konzept komplett umgesetzt sein. Am 28. August wird Stüssgen 107 Jahre alt. Zeit für einen kleinen Abgesang auf das Lieblingskind unter den Kölner Supermärkten.

Im Spätsommer 1897 schlägt die Geburtsstunde der Stüssgen-Märkte. Unter dem Namen „Kölner Konsum-Anstalt“ eröffnet der frisch gebackene Lebensmittelkaufmann Cornelius Stüssgen seinen ersten Laden. In der Venloer Straße 466 in Ehrenfeld ist das Warensortiment noch sehr begrenzt. Gern kaufen die Kunden – in aller Regel dürften es Kundinnen gewesen sein – aber bereits Produkte wie Reis, Kaffee, Nudeln und vor allem Petroleum.

Zu dieser Zeit herrschen in der „Kölner Konsum-Anstalt“ geradezu moderne Verhältnisse. Zwei Frauen führen das Geschäft. Die Ladenöffnungszeiten sind bis heute ungetoppt: Verkauft wird von vier Uhr morgens bis 23 Uhr nachts. Auch an Sonn- und Feiertagen lädt die „Konsum-Anstalt“ zum Shoppen ein.

Aber so modern geht es denn doch wieder nicht zu. Zwei Frauen, Mutter und Tante, rackern sich im Laden für den einzigen „Mann im Haus“ ab. Dem erst 20-jährigen Cornelius bleibt dadurch jede Menge Zeit, über seine weitere Geschäftsstrategie nachzudenken. Und die heißt schon bald: „Gute Ware für bares Geld“. Mit dem althergebrachten Prinzip „Mal eben anschreiben lassen“ macht Stüssgen Schluss. Und zwar erfolgreich.

Bereits 1899 eröffnet der Begründer der heutigen Supermärkte seine erste Filiale in Brühl. Bis Ende 1904 betreibt er insgesamt zwölf Geschäfte. Und weil sich der Vertriebsradius erweitert hat, heißt die „Kölner Konsum-Anstalt“ inzwischen auch „Rheinisches Kaufhaus für Lebensmittel“. 40 bis 80 Quadratmeter Verkaufsfläche haben die Geschäfte. Zwischen drei und sieben Verkäuferinnen kümmern sich freundlichst um die Kundinnen. Schließlich ist das tägliche Einkaufen, und so sollte es noch lange bleiben, ausschließlich Frauensache.

Eigenmarke „Cornelia“

Hinter dem „weiblichen Muss“ stecken schon bald zwei männliche Köpfe. 1902 lässt Cornelius Stüssgen eine Zentrale für seine „Einkaufskette“ in der Mainzer Straße 32 in Köln erbauen. Etwa zur selben Zeit nimmt er seinen Schwager Josef Geyr ins Boot, der sich von nun an um den internen Geschäftsbetrieb kümmert. Und damit schafft sich der pfiffige Vordenker Stüssgen erneuten Freiraum, um weitere Innovationen zu planen.

Er erfindet das Prinzip der bequemen Verpackung von Lebensmitteln. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Waren wie Reis oder Zucker in Säcken angeliefert. Für den Verkauf mussten die Produkte einzeln entnommen und abgewogen werden. Cornelius Stüssgen lässt die Waren nun gleich im Lager wiegen und in Tüten abfüllen. Und bereitet damit dem Prinzip der Selbstbedienung den Weg, die den Lebensmittelhandel in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts grundlegend verändern wird.

Auch die Eigenmarke, die heute jeden Supermarkt auszeichnet, stammt vom Begründer der Kölner Stüssgen-Geschäfte. Tragen seine Produkte anfangs noch den kaum aussagekräftigen Buchstaben „S“, sind sie wenig später mit einem Markenzeichen versehen. Die Aufschrift „Cornelia“ bezeugt, dass ein Kunde sein Produkt bei Stüssgen erworben hat. Im Jahre 1914 – der Erste Weltkrieg hat gerade begonnen – beliefert die Kölner Zentrale bereits über 108 Filialen im Kölner Raum, im Rheinland, in Westfalen, im Hessischen und in Süddeutschland. Nach Kriegsende und dem Höhepunkt der Inflation im Jahre 1923 bleiben nur noch 57 Stüssgen-Läden übrig. Die befinden sich jetzt ausschließlich im Rheinland. Josef Geyr, Stüssgens tatkräftiger Partner, war bereits 1915 gestorben. Cornelius Stüssgen macht jetzt alleine weiter.

Der inzwischen erfahrene Geschäftsmann schafft es. Am 1. Januar 1928 geht er mit seinem Unternehmen an die Börse. Von nun an firmiert er unter „Cornelius Stüssgen AG“. 1929 zieht die Stüssgen-Zentrale in größere Räume nach Köln-Braunsfeld um. Dort richtet der Geschäftsinhaber Labore für die Veredelung von Waren ein und schafft vier vollautomatische Verpackungsmaschinen an. Zu ihren Rekordzeiten beliefert die Braunsfelder Zentrale 145 Stüssgen-Filialen in der Kölner Bucht.

Auch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überlebt die Lebensmittelkette. Immerhin wird die Firma im Oktober 1939 von den Machthabern als Wehrwirtschaftsbetrieb anerkannt; Lebensmittel sind unverzichtbar. Damit hat Stüssgen Anspruch auf Brennstoffe und sonstige Betriebsmittel, die anderen Unternehmen versagt bleiben. Und kann sich trotz der Rationierung vieler Produkte ganz gut halten. Viel schlimmer treffen die Firma Stüssgen die alliierten Bomben, denen die Kölner Zentrale und die Hälfte der Filialen zum Opfer fallen.

Verdrängungswettbewerb

Doch der inzwischen 68-jährige Firmengründer Cornelius Stüssgen lässt sich nicht entmutigen. Gleich nach 1945 macht er sich an den Wiederaufbau seines Unternehmens. Bis zur Währungsreform von 1948 haben bereits über 80 Filialen den Betrieb wieder aufgenommen.

1950 eröffnet Stüssgen den ersten „Tempoladen“. Die Besonderheit ist eine Zentralkasse, an der alle Beträge der eingekauften Waren zusammen erfasst und bezahlt werden können. Zu dieser Zeit eine echte Neuheit, musste doch bisher jede Verkäuferin jeden einzelnen Posten zusammenrechnen. Und musste doch jede einzelne Kundin bei jeder einzelnen Verkäuferin gesondert bezahlen – „Verkäuferin“ und „Kundin“, denn: Einkaufen ist trotz aller Umwälzungen immer noch Frauensache!

Das sollte sich bald ändern. Cornelius Stüssgen, der Begründer der „Kölner Konsum-Anstalt“, stirbt am 24. Juni 1956. Die Entwicklung zu immer größeren Selbstbedienungsmärkten und die Verdrängung der kleinen „Tante Emma-Läden“ musste er nicht erleben. Und auch die Frauen, die alsbald eine andere Position als die „hinter dem Verkaufstresen“ einfordern sollten, hat er nicht mehr erlebt.

In den Achtzigerjahren schlucken immer mehr Großkonzerne kleine Lebensmittelunternehmen, die sich gegen den Kostendruck nicht mehr wehren können. Einer dieser Großkonzerne ist die Rewe-Handelsgruppe. Die erwirbt die Stüssgen AG 1984 und 1989 in zwei Schritten.

Seit der ersten Übernahme von 51 Prozent der Stüssgen-Anteile durch die Rewe-Handelsgruppe sind 20 Jahre vergangen. 20 Jahre, in denen Stüssgen für die Kölner immer noch „der Stüsschen“ war. Nun müssen sie ein neues Synonym für „Ich gehe einkaufen“ erfinden. Ob es mit „Ich jon zum miniMal“ getan ist? Vielleicht in 20 Jahren.