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Archiv-Artikel

Statt Hirse verkaufen die Bauern Wasser

Die Knappheit von Wasser hat sich in Indien zur Krise verdichtet: Felder bleiben unbestellt, der Grundwasserspiegel sinkt. Wenn dann noch der Monsun ausbleibt, greift manche Regionalregierung zum letzten Mittel: Sie kappt den Nachbarn den Zufluss

AUS NEU-DELHI BERNARD IMHASLY

Im Osten Indiens und in Bangladesch haben die Monsun-Regenfälle die Flüsse über die Ufer treten lassen und große Landstriche unter Wasser gesetzt. Bisher starben über 400 Menschen, die meisten, als sie mit ihren Wohnstätten von den Fluten weggeschwemmt wurden.

Im Nordwesten des Landes und in Zentralindien dagegen zeichnet sich bereits die nächste Dürre ab. Der Monsun ist dort seit einem Monat überfällig, und wenn der große Regen nicht innerhalb der nächsten Woche kommt, ist die nächste Aussaat gefährdet. Das Paradox von zu viel und zu wenig Wasser zeigt sich besonders im Dorf Cherrapunji. Der Ort im ostindischen Staat Meghalaya verzeichnet traditionell die höchste Niederschlagsmenge des Landes und hält den Niederschlagsweltrekord – nun leidet er unter chronischem Wassermangel. Denn der Regen konzentriert sich nur auf eine kurze Zeitspanne, und es fehlt an Reservoirs.

Im nordwestlichen Bundesstaat Pandschab gibt es dagegen ein eng gezogenes Netz von Kanälen und Vorratsbecken, die sicherstellen, dass der Bundesstaat seiner Aufgabe als Kornkammer Indiens gerecht wird. Dennoch ist es ausgerechnet dieser Staat, der den jüngsten Wasserkrieg ausgelöst hat. Die Hälfte des Getreides des Landes kommt aus dem Pandschab, doch die hier so erfolgreiche Grüne Revolution hat zu einem derart intensiven Wasserverbrauch geführt, dass die Schmelzwasser der drei großen Himalajaflüsse Ravi, Beas und Satlej allein nicht mehr ausreichen, den Durst der Böden zu stillen. Wenn dann noch der Monsun verspätet eintrifft, ist die Ernte in Gefahr.

Nun hat der Bundesstaat die Notbremse gezogen. Ohne Konsultation mit der Zentralregierung verabschiedete das Provinzparlament letzte Woche ein Gesetz, das die langjährigen Verträge mit den Nachbarstaaten über die Zuteilung von Flusswasser einseitig kündigt. Schon kündigt sich ein Kaskadeneffekt an. Der Bundesstaat Haryana – zwischen Pandschab und der Hauptstadt gelegen – hat angekündigt, dass er gezwungen könnte, seine Wasserzuteilung in den Stadtstaat Delhi zu kappen. Dies könnte die Kapitale vollends in einen Wassernotstand führen. Bereits heute ist die Situation kritisch. Wer die Küche einer Mittelstandswohnung betritt, sieht sich oft von Töpfen und Kesseln umgeben, die am frühen Morgen mit Wasser gefüllt werden müssen, wenn für eine halbe Stunde ein dünner Strahl aus den Hähnen fließt. Reiche Haushalte lassen ihre runden PVC-Wasserbehälter auf den Dächern von Tanklastwagen befüllen. Auch in Bangalore sind die Bauern der Umgebung inzwischen zu Wasserbauern geworden; statt ihre Hirsefelder zu bewässern, verkaufen sie ihr Grundwasser an städtische Haushalte.

Im Süden ist der Wasserkrieg zudem bereits im Gang: Der Staat Karnataka am Oberlauf des Kaveri-Flusses verweigert dem Anrainerstaat Tamil Nadu am Unterlauf des Flusses die ihm zustehende Wassermenge, indem er seine Reservoire schließt.

Angesichts der relativ konstanten Wassermenge von Flüssen stillt das Anzapfen von Grundwasser den ständig steigenden Durst von Böden und Menschen. Indien, so der Wasser-Spezialist Tushaar Shah, läuft hier schnurstracks in eine „gewaltige Wasserkrise, welche das allgemeine Elend noch vertiefen wird“. Die Zahlen sind erschreckend genug: von 100.000 Pumpen im Jahr 1960 ist die Zahl heute auf 20 Millionen gestiegen. Dies hat Indien zu einem Selbstversorger und Exporteur von Nahrungsmitteln gemacht, aber zu einem hohen ökologischen Preis. Allein die Milchindustrie in Gujerat, so Shah, braucht etwa 2.500 bis 3.000 Liter Wasser, um einen einzigen Liter Milch zu produzieren. Die mehreren tausend Selbstmorde von Bauern sind ein drastischer Ausdruck der Wasserkrise. Immer mehr Brunnen versagen, und je tiefer der Grundwasserspiegel fällt, desto teurer werden die Pumpen. Modernes Saatgut wird dagegen immer bewässerungsintensiver. Die Bauern geraten in einen Verschuldungsstrudel, der oft nur noch den Griff zum Gift offen zu lassen scheint.

Wasser gehört im föderalen Indien zum Hoheitsbereich der Bundesstaaten. Deshalb ist die Regierung in Delhi gegenüber dem Vorgehen von Pandschab und Karnataka weitgehend machtlos und muss das Oberste Gericht um Einschreiten anflehen. Sie hat aber das Problem zumindest erkannt. In seiner jüngsten Budgetrede versprach Finanzminister Chidambaram Staatsgelder für die Renovierung von über einer Million traditioneller Reservoirs und Kanälen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, sagt Experte Tushaar Shah, dass nur gut organisierte Benutzergemeinschaften dabei erfolgreich sind. Eine mögliche Körperschaft sind die Dorfräte, die durch die Verfassungsänderungen der letzten Jahre gestärkt worden sind. Es gibt auch zahlreiche NGOs, welche erfolgreich Projekte mit Tropfbewässerung getestet haben, so etwa in Zentralindien.

Angesichts der überregionalen Ausdehnung der Wasserkrise wird in politischen Kreisen die Forderung laut, das Wasser zu nationalisieren. Allerdings sind die ersten Versuche in Richtung nationaler Lösungen nicht viel versprechend. Die Regierung von Premierminister Vajpayee hat vor einem Jahr ein Mammutprojekt aus der Taufe gehoben, das alle großen Flüsse durch Kanäle vernetzen und so einen Ausgleich zwischen Überschuss- und Defizitregionen erreichen will. Doch gibt es ernsthafte Kritik gegen das „Riverlink“-Projekt. Abgesehen von technischen und politischen Problemen zweifeln Experten an der Fähigkeit des Staats zweifeln, ein 800-Milliardenprojekt einigermaßen kompetent – sprich: korruptionsfrei – durchzuführen. Private Wasserfirmen, wie sie in den USA und Europa präsent sind, haben zurzeit wenig Chancen, in Indien Fuß zu fassen. Der Zugang zu Wasser hat sich bereits zur Krise verdichtet und damit eine scharfe Politisierung erfahren. Dies wird privaten und erst recht ausländischen Firmen nicht den nötigen zeitlichen Spielraum geben, um den ökonomischen Nutzen privater Geschäftsmodelle zu beweisen.