: „Rennauto hätte ich fahren dürfen“
Blutkontrolle bei der Polizei – und der Führerschein ist zu Recht weg? Daran gibt es Zweifel, seit das Landgericht einem Bremer den Lappen wieder zusprach, weil die Labordaten des rechtsmedizinischen Instituts mehr Fragen als Antworten brachten
Bremen taz ■ „Ich hatte lange Zeit Wut auf die Polizei“, sagt der Bremer Peter Ricklefs. „Dabei hat dieser Arzt vom Institut für Rechtsmedizin mir das eingebrockt – mit seinem blödsinnigen Laborbefund.“
Sechs Monate lang hatte der Informatiker Ricklefs nicht Auto fahren dürfen – „wegen Fahrens unter Mitteleinnahme“, so hatte das Amtsgericht aufgrund eines Laborbefunds des Instituts beschlossen – den das Landgericht kürzlich kassierte. Lange, nachdem Ricklefs seinen „Lappen“ wieder zurück bekommen hatte.
„Das war Willkür“, sagt der Informatiker rückblickend. Vor allem das habe ihn bewogen, gegen den Führerscheinentzug auch nachträglich anzugehen. „Ich hatte mir doch nichts zu Schulden kommen lassen.“ Von Anfang an habe man ihn jedoch wie einen Straftäter behandelt. Jetzt will er sich die rund 300 Euro von der Staatskasse zurückholen – für eine Expertise, die er bei dem vor Bremer Gerichten anerkannten Gutachter Jobst von Karger in Auftrag gegeben hatte.
Von Karger hatte eine entlastende Interpretation der Urinwerte des Beschuldigten geliefert. Darüber hinaus hatte der langjährige Gutachter größtes Durcheinander bei der Bearbeitung der entnommen Proben festgestellt. Deren Behandlung sei so schlampig erfolgt, dass fraglich sei, „ob die richtige Substanz untersucht wurde und ob sie sich in tauglichem Zustand befand“. Beispielsweise habe der Polizeibericht vermerkt, dass eine Urinprobe nie abgegeben wurde – die aber in anderen Dokumenten wohl vermerkt war. Diese und andere „offensichtliche Fehler“ seien höchst problematisch.
Begonnen hatte die Affäre, die erst in diesem Jahr ihr juristisches Ende fand, kurz vor Weihnachten 2002. Der damals 47-jährige Programmierer hatte dem Sohn eines Freundes im Viertel mit dem Computer geholfen. Aus dem Ostertor kommend war er ordnungsgemäß rechts in den Sielwall abgebogen, als ihn ein Streifenwagen anhalten ließ. Er sei Schlangenlinien gefahren. Dann habe man ihn mit der Taschenlampe in die Augen geblendet, die Worte „kein Reflex“ und „Drogen“ seien gefallen. Ricklefs ist sich bis heute keiner Schuld bewusst. „Am Eck fährt man ja besser vorsichtig, da fällt einem doch sonst noch jemand auf die Kühlerhaube“, sagt er lakonisch. Weil das Röhrchen-Pusten aber ohne Ergebnis blieb, nahmen die beiden Beamten ihn zur Blutabnahme mit auf die Wache. Den Urin lieferte der Beschuldigte freiwillig ab. „Ich nehme keine Drogen“, sagt er. Die Probe habe ihn entlasten sollen. Heute fasst er sich deswegen an den Kopf. „Hätte ich das nicht getan, wäre das Ganze ohne Folgen geblieben.“
Während im Blut nämlich weder Alkohol noch Hinweise auf andere Drogen gefunden wurden, ergab die Urinuntersuchung einen minimalen Morphin-Wert von 70 Nanogramm je Milliliter. „Damit hätte ich nach den Dopingrichtlinien zwar noch Rennauto fahren dürfen“, weiß Ricklefs mittlerweile. „Aber im Straßenverkehr gibt es keine Grenzwerte. So haben sie versucht, mich dran zu kriegen.“
Wie es zu diesem Laborergebnis kam, ist dem Beschuldigten bis heute schleierhaft. „Ein falsch-positives Ergebnis“, sagt der Sohn eines Mediziners. „Vielleicht hat jemand wo gepanscht?“, rätselt er. „Eine dreckige Pipette und schon ist alles futsch.“ Dann sagt er: „Oder es war nicht meine Urinprobe.“ Oder irgendetwas anderes habe das Ergebnis herbeigeführt. „Ein Mohnbrötchen – und schon hat der Mensch Morphine im Urin.“ Diesem Thema hat das „Journal of Analytical Toxicology“ im Januar 2003 einen mehrseitigen Bericht gewidmet. Danach kann ein verzehrtes Mohnbrötchen noch zwei Tage später im Urin abzulesen sein – in Form von „positiven“ Morphintests à la Ricklefs.
„Als die Mitarbeiter des Instituts für Rechtsmedizin das hörten, schienen sie überrascht“, sagen Verkehrsstaatsanwälte. Sie brachten solche und andere „Qualitätsfragen“ im Frühjahr auf die Tagesordnung eines mit dem Institut für Rechtsmedizin anberaumten Gesprächs. Anders als viele in der Polizei will die Staatsanwaltschaft das hinter vorgehaltener Hand vielfach kritisierte Institut in Bremen halten. „Wir brauchen eine Einrichtung, mit der man die Ermittlungen vor Ort kurzfristig regeln kann“, sagt Oberstaatsanwalt Christian Tietze. „Dafür muss man gute Leute haben.“
Das sehen auch Beschuldigte wie Peter Ricklefs so. „Eine ordentliche Laboranalyse, eine ordentliche Bewertung – dagegen hätte ich nichts gehabt.“ So aber haben die Polizei und die für sie arbeitenden Ärzte gleichermaßen Ansehen eingebüßt. ede