piwik no script img

Archiv-Artikel

Durchhaltekraft eines Performers

Die Algendichte der Kunst: Johan Lorbeer ist 14 Tage lang in Berlin mit der Still-Life-Performance „Spreewasseranalyse“ zu Gast. Für den Galerieraum eingefroren, hängt der Körper des Künstlers in der Installation an einem überlangen Gummihandschuh

Was Lorbeer gelingt: gegen die Naturgesetze zu agieren

VON BRIGITTE WERNEBURG

Mit seinem „Proletarischen Wandbild“ im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) verschaffte der Berliner Künstler Johan Lorbeer letztes Jahr den Besuchern der Ausstellung „Das lebendige Museum“ eine durchaus irritierende Erfahrung: Für die Menschen, die den Straßenkehrer in seiner orangefarbenen Uniform im edlen White Cube des MMK waagerecht auf der Wand stehen sahen, drehte sich nach einer Weile der Raum um. Johan Lorbeer ragte mit seinem Kehrbesen nicht mehr waagerecht in den Raum hinein, nein, er stand ganz normal in der Senkrechten auf dem Boden. Die Betrachten dagegen bekamen das ungute Gefühl, sie wären diejenigen, die sich gegen die Schwerkraft auf der Wand bewegten.

Das jedenfalls sagten sie dem Künstler immer wieder, der hoch über ihren Köpfen mehrere Stunden lang in der Position des Straßenkehrers verharrte. Johan Lorbeer inszeniert sich als ein Kunstwerk, mit dem der Betrachter kommunizieren kann. Auch am Samstagabend, anlässlich der Vernissage seiner neuen, zweieinhalbstündigen „Spreewasseranalyse“, gab er Auskunft; etwa über die Wasserqualität der Spree bei der Jannowitzbrücke, woher das trübe, grüngelbe Wasser stammt, das nun ein Aquarium aus Plexiglas füllt. Lorbeer langt mit Hilfe eines überlangen Gummihandschuhs in das Aquarium, wobei es so scheint, als ob der im Wasser ruhende Arm seinen restlichen, in der Hocke befindlichen Körper außerhalb des Tanks luftig in der Schwebe hält.

„Still-Life-Performance“ nennt Johan Lorbeer seine Körperinstallationen, unter denen das „Proletarische Wandbild“ die weithin bekannteste ist. Sie sind dem Happening weniger verpflichtet als der von Gilbert & George Ende der 60er-Jahre entwickelten „Lebenden Skulptur“. Anders als bei der Performance, als einmaliger Aktion mit einem in situ sich entwickelnden Handlungsablauf, geht es bei Lorbeers Still-Life-Performance um eine klassische „Hängung“ in der Galerie oder dem Museum, mit dem Unterschied eben, dass nur einige Stunden lang zu sehen ist, was sonst ständig betrachtet werden kann. Das kunstraumaffine Einfrieren der Aktion zum Bild und zur Skulptur bedarf dennoch der Zeit, mehrere Stunden am Tag über die ganze Dauer einer Ausstellung eben. Sieben Wochen waren es im MMK, zwei Wochen sind es jetzt bei Galerie + Projekte Mathias Kampl.

Das heißt aber auch die Durchhaltekraft des Performers zu prüfen, was durchaus als eine existenzielle Situation gelten darf. Zumal Johan Lorbeer in seinen Still-Life-Performances Körperplastik als wirkliche Veränderung der Körperform praktiziert. Ganz unwillkürlich etwa lässt der lange Arm im Aquarium den Körper klein werden, der an ihm hängt. Giacometti, der in seinen Statuen beispielsweise eine Frau zeigen wollte – und konnte –, wie man sie aus 30 Meter Entfernung auf der Straße sieht, ist denn auch ein weiterer Impulsgeber für Lorbeers Performance.

Doch jenseits solcher formaler und kunstimmanenter Momente kann in der „Spreewasseranalyse“ auch ein politisches Bild entdeckt werden. Ist es nicht der lange Arm der Wissenschaft, der den Körper minimiert? Der ihn an den Rand drängt, obwohl doch die Analyse der Schweb- und Schadstoffe, der Algendichte, des Sauerstoffgehalts wie der Fließgeschwindigkeit der Spree nur Sinn macht in Hinblick auf die in ihr lebenden Körper?

Vielleicht gelingt ihnen ja auch, was Lorbeer in seinen Performances zu gelingen scheint: gegen die Naturgesetze zu agieren, in der Waagerechten, nicht gerade wie Fred Astair zu tanzen, aber immerhin die Wand zu kehren, in der Luft ein „Büro“ zu betreiben, wie in einer Performance von 1999, oder stundenlang wie beim „Rothko-Fax“ in Farbeimern zu stehen und dabei dem Betrachter zwei Frotteehandtücher entgegenzuhalten. Die leuchten im schönsten monochromen Gelb, Orange oder Rot. Interessanterweise spielt in den 80er-Jahren die Auseinandersetzung mit der Monochromie und Farbfeldmalerei eine wichtige Rolle in Lorbeers Werk. Dabei blieb der Bezug zur Performance, auf die sich der 1950 in Minden geborene Künstler von Anfang an konzentrierte, auch in den bildnerischen Arbeiten mit ihrer expliziten Farbauseinandersetzung gewahrt. Ein „Klebfolienraster“ etwa an der Wand, über Ecke, auf einem Bord, dazu ein Paar Frotteehandtücher wurde erst durch den in den Farben der Installation eingekleideten Künstler komplett, der in diesem Environment posierte.

Jetzt, bei Kampl, ist es vielleicht die Raum-im-Raum-Situation, die als kritisches selbst reflexives Bild besonders deutlich wird. Der Künstler im Aquarium, die Besucher um ihn herum in dem kleinen Showroom: von außen betrachtet, in einem weiteren Aquarium, einem weiteren Schutzraum – dem der Kunst. Dessen Inhaltsstoffe freilich analysiert Lorbeer von jeher in seinem Werk.

Performance bis 8. August, täglich 15.30 bis 18 Uhr: Galerie + Projekte Mathias Kampl, Auguststr. 35, Mitte