BEIM THEMA VOLKSENTSCHEIDE SPIELT KEINE PARTEI MIT OFFENEN KARTEN
: Fadenscheinige Debatte

Über das Instrument der Volksabstimmung mögen die Ansichten geteilt sein, eines aber ist gewiss: Die Debatten über dieses Thema sollte man hierzulande vielleicht lieber abschaffen. Nirgends wird so viel geheuchelt und getrickst wie im Umgang mit der Frage, ob der demokratische Souverän künftig auch in einzelnen Sachfragen mitreden soll – und zwar ganz unabhängig von der Frage, welchem politischen Lager die Diskutanten gerade angehören.

Lauthals ruft CSU-Chef Edmund Stoiber plötzlich nach einem Referendum über die europäische Verfassung und verweist auf positive Erfahrungen mit Volksentscheiden im heimischen Bayern. Entdeckt hat er das Thema freilich erst, seit der Brite Tony Blair und der Franzose Jacques Chirac Referenden angekündigt haben und das Meinungsklima nun auch hierzulande umschlägt. Europapolitischer Verantwortung gänzlich ledig, kann Stoiber bequem auf der Populismuswelle schwimmen und seine CDU-Kollegin Angela Merkel ganz nebenbei ein wenig ärgern.

Sehr aufrichtig sind auch die rot-grünen Bekenntnisse zu Volksentscheiden nicht. Während Stoiber eine Abstimmung nur über die EU-Verfassung möglich machen will, hält es die Koalition gerade umgekehrt. Sie will die Bürger über jedes beliebige Thema entscheiden lassen. Ausgerechnet das Grundgesetz Europas, der Anstoß für die aktuelle Diskussion, soll aber ausgespart bleiben. Und für die übrigen Referenden sind die geplanten Hürden derart hoch, dass sie – auch nach der Erfahrung aus den Bundesländern – kaum zu überwinden sind. Dem linken Unbehagen über das meist konservative Volk wäre damit Genüge getan.

Es gibt gute Argumente, für oder gegen einen Volksentscheid zu sein. Die Forderung, der demokratische Souverän müsse selbst entscheiden, ist genauso legitim wie die Besorgnis, solche Urnengänge könnten fatale Ergebnisse zeitigen. Aber entscheiden muss sich ein Politiker schon. Eine Debatte mit fadenscheinigen Argumenten und vorgespiegelten Positionen sollten uns die Bundestagsparteien lieber ersparen. RALPH BOLLMANN