Avanti dilettanti

Frauen waren das ganz große Thema der ersten Woche in Straßburg – und wie sie putzen

AUS STRASSBURG DANIELA WEINGÄRTNER

Das beschauliche Straßburg ist es gewöhnt, dass seine Ruhe einmal im Monat von hektischen Aktentaschenträgern gestört wird. Die Hotelpreise steigen, die besten Tische in den Edelrestaurants sind ausgebucht – dafür nehmen die Einheimischen gern in Kauf, dass die Kopfsteinpflasterstraßen mehrere Tage lang vom Gerumpel der Rollkoffer widerhallen. Dieses Mal war alles ein bisschen anders als gewohnt. Viele der Europaparlamentarier waren das erste Mal in der elsässischen Metropole – elegant gekleidete Menschen standen wie verwirrte Touristen an den Ecken und studierten den Stadtplan auf der Suche nach dem Parlamentsgebäude oder dem Kneipentreffpunkt für ein Hintergrundgespräch. Das funkelnagelneue Französisch aus dem ersten Intensivkurs bestand den Praxistest nur selten.

Wer sich zum neuen Arbeitsplatz durchgefragt hatte, stand vor der nächsten Hürde. Das Straßburger Parlament ist von außen schön anzusehen – doch die kreisförmig angeordnete Architektur führt dazu, dass sich mancher Neuling fühlt wie der Hamster im Laufrad. Viele erreichten ihren Bestimmungsort erst, nachdem die Sitzung, zu der sie wollten, schon zu Ende war. Diejenigen, die pünktlich kamen, wären zum Teil auch besser weggeblieben.

Es waren Szenen aus dem Tollhaus, die sich letzte Woche im Plenum und einigen Ausschüssen abspielten. Als die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten auf der Tagesordnung stand, sprang die italienische Abgeordnete Alessandra Mussolini von ihrem Sitz. Die üppige Blondine ist eine auffällige Erscheinung. Nachtclub-tauglich mit dicken Kajalstrichen geschminkt, einen riesigen gelben Stern um den Hals, bringt sie eine völlig neue Stilnote in das von Citydress-Trägerinnen geprägte Ambiente.

Mussolini, die für die Europawahl eine eigene Liste „Soziale Alternative“ gegründet hat, wetterte gegen ihren britischen Kollegen Godfrey Bloom von der ebenfalls neu gewählten UKIP, der britischen Unabhängigkeitspartei. „Es gibt Frauen, die werden getötet, weil sie ihre Rechte ausüben! Viele Frauen müssen die Burka tragen … Ich weiß, dass Engländer selbstironisch sind, aber die Bemerkungen von Herrn Bloom sind unerträglich! Ich komme aus Neapel – dort können die Frauen putzen und gleichzeitig Politik machen!“

Hintergrund war eine Bemerkung des Abgeordneten Godfrey Bloom vom Vortag. Auf die Frage, warum er sich für den Frauenausschuss gemeldet habe, antwortete er laut Londoner Times: „Ich finde, dass die Frauen hinter dem Kühlschrank nicht ausreichend putzen.“ Doch nach Mussolinis Beschimpfung kam dem stets etwas erstaunt blickenden Herrn mit den Segelohren sein britischer Humor gänzlich abhanden. Er schleuderte zurück: „Ich bin neu hier und finde es schändlich, dass es die Verfahren hier erlauben, falsche Zitate in die Presse zu bringen, ohne dass ich mich dagegen wehren kann!“

Zum Bedauern der Zuschauer auf den Tribünen brach Parlamentspräsident Josep Borrell das Duell mit dem freundlichen Hinweis ab, um einen Antrag zur Geschäftsordnung – wie Frau Mussolini behauptet hatte – habe es sich hier ja wohl nicht gehandelt. Dann endlich konnte Durão Barroso zum neuen Kommissionspräsidenten gewählt werden.

Die Debatte, die dieser Prozedur voraus gegangen war, war ebenfalls von hohem Unterhaltungswert. Vor allem die Abgeordneten von UKIP waren zu sarkastischen Bemerkungen aufgelegt. Mit diesem Club älterer Herren mit silbergrauen Schläfen, die sich nach jedem Zwischenruf gegenseitig anerkennend auf die Schulter schlagen, wird das neue Europaparlament noch viel Spaß haben. Godfrey Blooms Fraktionskollege Kilroy-Silk etwa bemerkte feinsinnig, er könne Durão Barroso nicht wählen, da er die Kommission überhaupt ablehne. „Frau Thatcher hat einst gesagt: We want our money back. Sie hat es bekommen – zumindest teilweise. Wir wollen unser Land zurück – und glauben Sie mir das eine: Wir werden es zurück bekommen!“ Nigel Farage, auch UKIP, bezeichnete die Kommission als „Sanatorium für gescheiterte Politiker“. Sicherlich sei Barroso ein ganz guter Kommunikator, besser als sein Vorgänger Romano Prodi. „Aber dazu gehört nun wirklich nicht viel, oder?“

Im Vergleich zur finsteren Fundamentalkritik der UKIP wirkte Seán O’Neachtains Auftritt lediglich kurios. Was der Ire von der Fianna-Faíl-Partei sagte, wird auf immer im Dunkeln bleiben, denn er sprach volle drei Minuten lang Gälisch, das nicht zu den Amtssprachen der Union gehört und daher von den Dolmetschern auch nicht übertragen wurde. Die neu gewählte Vizepräsidentin des Parlaments, Dagmar Roth-Behrend, die in diesem Augenblick den Vorsitz führte, war von der Freude über ihr neues Amt offensichtlich so erfüllt, dass sie den Kollegen lediglich milde auf diese Tatsache hinwies, statt ihm das Mikrofon abzudrehen.

Auch sonst mussten die Parlamentarier mit Rätseln leben. Daniel Cohn-Bendit sagte dem Kandidaten Durão Barroso: „Wenn Sie gewählt werden – bravo! Wenn nicht – lesen Sie während Ihrer Ferien Sokrates …“ Und seine grüne Kosprecherin Monica Frassoni versuchte die Haltung des Portugiesen zu genmanipulierten Organismen (GMO) zu erfragen, wurde dabei von ihren Fraktionskollegen mit T-Shirts „for a GMO-free Europe“ unterstützt und von Parlamentspräsident Josep Borrell väterlich vor eben diesen beschützt: „Setzen Sie sich hin! Lassen Sie die Abgeordnete in Ruhe zu Ende kommen!“

Was mag Graham Watson, der Vorsitzende der Liberalen, gemeint haben, als er zu Martin Schulz sagte: „Als Enrique Baron an den Strand kam, lag Ihr Handtuch auf seinem Liegestuhl!“ Um den Satz nur annähernd zu verstehen, muss man wissen, dass Baron Schulz’ Vorgänger als Fraktionschef der Sozialdemokraten war. Schulz wiederum sagte den Liberalen, er werde ihren Kandidaten Geremek nicht einfach deshalb zum Parlamentsvorsitzenden wählen, weil er eine bekannte Persönlichkeit sei. Und Hans-Gert Pöttering sagte mit dem nur ihm eigenen zitternden Pathos in der Stimme zu Martin Schulz: „Dieser Europäische Kontinent ist so kompliziert, dass weder die eine noch die andere Seite sich durchsetzen kann. Europa hat nur eine Chance, wenn wir gemeinsam handeln!“

Pöttering als Chef der konservativen Fraktion bezog sich in diesem Moment auf das technische Abkommen zwischen den beiden größten Fraktionen, das schon wenig später platzte, weil die meisten Sozialisten Barroso ihre Stimme verweigerten. Wie prophetisch seine Einlassung war, konnte er in diesem Augenblick noch nicht ahnen. Am Freitagmorgen stand als letzte Amtshandlung die Wahl der Ausschussvorsitzenden auf der Tagesordnung. Im Frauenausschuss bewarb sich die konservative Slowakin Anna Zaborska um den Posten – und fiel durch.

Der Zeitung Slovac Spectator hatte sie kurz vor der Europawahl verraten, in ihrer künftigen Fraktion herrsche eine „liberale Atmosphäre“. „Es wirkt wie Selbstzensur. Als ob die Menschen in Europa nicht den Mut hätten, konservative Werte zu verteidigen.“ Die EU-Gesetze müssten mit den slowakischen Interessen in Einklang gebracht werden. „Ich werde mir jedes Dokument unter dem Blickwinkel ansehen, wie es die Familien in der Slowakei beeinflusst.“ Die neue Europäische Verfassung lehnt die Slowakin natürlich ebenfalls ab. Da auch die britischen Torries zur EVP-Fraktion gehören, steht sie dort mit dieser Haltung nicht allein.

Über den Frauenausschuss hat sich Zaborska schon als Beobachterin in den vergangenen Monaten ein Urteil bilden können: „Eine Mehrheit der Frauen im Ausschuss ist links und liberal – ich denke, es ist notwendig, dass eine konservative Stimme gehört wird. Die beitretenden Länder, vor allem diejenigen, die einen tieferen Respekt für Werte besitzen, haben keine Angst davor, aufzustehen und zu sagen, was sie denken.“

Anna Zaborska ist gegen Abtreibung und soll öffentlich gesagt haben, dass sie Homosexualität für eine Krankheit hält. Die sozialistische Abgeordnete Lissy Gröner beantragte am Freitag erfolgreich, die Abstimmung über ihre Kandidatur als Vorsitzende des Ausschusses für Frauenrechte und Chancengleichheit zu vertagen. „Sie kann bis Montagnachmittag darlegen, dass sie die europäischen Werte uneingeschränkt unterstützt.“ Die Retourkutsche folgte prompt. Im Wirtschafts- und Währungsausschuss ließen wenig später die Konservativen Pervenche Berès, die sozialistische Kandidatin für den Vorsitz, durchfallen.

Frauen also, so die Bilanz dieser turbulenten Woche, waren in Straßburg das ganz große Thema. Auch Durão Barroso versicherte mehrfach, er hoffe viele von ihnen in seiner neuen Kommission zu sehen. Die Antwort aus den Hauptstädten blieb bislang leider wage. Nun interessiert zum Schluss lediglich noch die Frage, wie unser Freund Godfrey Bloom im Frauenausschuss abgestimmt hat. Nun, er war gar nicht anwesend. Wahrscheinlich musste er schon am Donnerstagabend zurück nach Hause, um in der Küche nachzusehen, ob seine Frau hinter dem Kühlschrank auch ordentlich geputzt hat.