: Die Zeit vor den Reformen
Echte Kerle machen echten Krach: Die Ästhetik des Heavy Metal ist zurück, als Fashion-Statement und in der Musik. Das höchste Ideal lautet Glaubwürdigkeit, das zweithöchste: „keine Experimente“
von ANDREAS HARTMANN
Drew Barrymore wirkt nicht immer so wie aus dem Ei gepellt wie ihre beiden Koleginnen in „Drei Engel für Charlie – Volle Power“. Dafür trägt sie die cooleren T-Shirts: nämlich ausgewaschene, schwarze Dinger mit Aufdrucken wie „Judas Priest“ oder „AC/DC“.
Ja, richtig gelesen: Das sind Heavy-Metal-Bands. Und diese T-Shirts, die in den vergangenen Jahren ein tristes Dasein als Männlichkeitsbeweis unter pubertierenden Vorstadtjungs fristeten, gehen wieder als cool durch. Angesagte DJs wie Patrick Pulsinger tragen sie mit Stolz, und die Wiener Klamottenfirma Groupie Couture hübscht seit kurzem Band-T-Shirts von klassischen Metal-Combos wie Metallica oder Iron Maiden mit Puffärmeln, Gummizügen oder Nietenbesätzen auf und verkauft diese als Trend-Fashion. Der Clou daran: Die Teile gibt es nur für Mädchen.
Metal geht wieder. Und das nicht nur als Fashion-Trend, sondern auch als Musik. Nichts passt besser in eine Zeit der Rezession, in der es den meisten dennoch einigermaßen gut geht, als eine Stilrichtung der Popkultur, die schon seit Jahren in kreativem Stillstand versunken ist und die kommerziell trotzdem recht gut brummt. Denn auch wenn man in den letzten Jahren vor lauter Britpop, Electronica und R & B nicht mehr wirklich etwas von Metal mitbekommen hat: Es gibt ihn noch, den Metal, und er floriert sogar. Die riesige Metal-Ecke im CD-Discounter beweist dies genauso wie der Blick in eine aktuelle Ausgabe der Szene-Fachzeitschrift Rock Hard. Die Bands sind noch dieselben wie vor zehn Jahren, und es geht noch um die gleichen Debatten wie früher (betreibt Band XY kommerziellen Ausverkauf oder nicht?). Kreator aus dem Ruhrpott gibt es nun auch auf DVD, Queensryche sind immer noch super, und Twisted Sister mit dem unglaublichen Dee Snider am Mikro haben sich eben wiedervereinigt.
Metal-Fans sind eine ihren Idolen ziemlich treu ergebene Spezies. Einmal Maiden-Fan – immer Maiden-Fan, so läuft das hier (jedenfalls solange Iron Maiden sich nicht kommerziell ausverkaufen lassen). Richtige Metal-Fans sind konservativ, Synthesizer sind für sie im Allgemeinen das Grauen und Techno immer Technopapp. Sie verachten die Popwelt, und die Popwelt verachtet sie, und allen geht es gut damit.
Mit diesem Gentlemen’s Agreement hätte es getrost bis in alle Ewigkeit weitergehen können. Wenn es nicht zu gleich zwei ungeheuren Phänomen gekommen wäre. Die Rede ist einmal vom unerhörten Erfolg der aktuellen Platte von Metallica, „St. Anger“, die gute Chancen hat, das erfolgreichste Album des Jahres in Deutschland zu werden. Und das, obwohl zuvor sowohl Plattenfirma als auch Kritiker prophezeiten, sie würde ein kommerzielles Deaster werden, da sie selbst für diese harten Zeiten viel zu hart klingen würde.
Das andere Kuriosum, an das man sich inzwischen zwar gewöhnt hat, das jedoch immer noch leicht bizarr wirkt, ist Ozzy Osbourne, der zuerst als Vati der MTV-Nation sein Comeback feierte und nun wieder als waschechter Heavy-Rocker auf der Bühne steht. Inzwischen wissen auch 14-Jährige, dass Ozzys Karriere nicht als Familienoberhaupt einer eigentümlichen Sippschaft begonnen hat, sondern dass er schon vor dreißig Jahren bei einer Heavy-Metal-Band namens Black Sabbath schwarze Messen besungen und nebenbei Fledermäusen das Blut ausgesaugt hat. Seine letzte Platte verkaufte sich mit circa 150.000 Stück zwar nach Ozzys Ansicht so schlecht, dass er sich eben erst von seiner Plattenfirma trennte, doch seine Metal-Ballade „Dreamer“ war ein Hit. Demnächst kommt Ozzy Osbourne nach langer Zeit mal wieder auf Deutschlandtournee. Als Musiker und sicher nicht nur mit Schmusesongs im Gepäck.
Das höchste Ideal des Heavy Metal ist Glaubwürdigkeit. Hier machen noch echte Kerls echte Musik. Wo ganze Kriege bewusst mit Lügen begründet werden und die Leute ohnehin immer weniger Vertrauen in ihre Politiker haben, wird dies als unschätzbarer Wert an sich angesehen. In unsicheren Zeiten wie diesen soll wenigstens die Musik geradlinig und grundehrlich sein. Nu Metal, Crossover, die ganzen Rockbands, die in den letzten Jahren auch beim MTV-Publikum Erfolg hatten: war alles ein riesengroßer Schwindel, waren nichts weiter als Reformpakete. Und man sehnt sich wieder nach der Zeit vor den Reformen.
Deswegen sind es auch vor allem die klassischen Heavy-Metal-Bands, die Konjunktur haben: Die, bei denen man noch genau wusste, dass es bei ihnen ausschließlich um Sex, Drugs & Haircrimes ging. Und nicht darum, auch mal etwas anderes auszuprobieren. Je weiter weg vom aktuellen Zeitgeist, umso besser, lautet das Ideal. Demnächst steht dann auch die Verfilmung der Bandbiografie „Dirt“ von Mötley Crue an, deren oberstes Motto bereits in ihrem berühmtesten Song anklang: „girls, girls, girls“.
In den Achtzigern und Neunzigern versuchte man, Metal durch Intellektualisierung aus der Schmuddelecke zu zerren. Die Symbolik des Deathmetal wurde mit Artaud kurzgeschlossen, John Zorn vereinnahmte Grindcore für New Yorker Avantgarde-Zirkel, Harmony Korine ließ seinen Film „Gummo“ durch einen kompletten Metal-Soundtrack noch verstörender wirken, und Künstler wie Matthew Barney oder Olaf Breuninger goutierten das Schockpotenzial extremen Metals für ihre Arbeiten.
Dem früher so beliebten intellektuellen Bestreben, durch den antiintellektuellen Furor des Metal alles Bestehende und dessen Wertekodex platt zu machen, ist der aktuelle Metal-Trend jedoch nicht geschuldet. Im Gegenteil: Nun geht es darum, durch das Beschwören der guten alten Heavy-Metal-Götter einen überkommenen Wertekodex vor der Auslöschung zu bewahren.