IRAK: DIE UNO DIENT DEN USA UND GROSSBRITANNIEN NUR ALS FEIGENBLATT : Bedingungen für das Weitermachen
Der Schock über den verheerendsten Anschlag auf Einrichtungen und Mitarbeiter der UNO seit ihrer Gründung im Jahre 1945 sitzt tief. Doch eine Überraschung war dieser Angriff nicht. Er war eine brutale, aber leider absehbare und von manchen prophezeite Konsequenz aus dem bislang schwersten politischen Anschlag auf die UNO und das Völkerrecht: dem amerikanisch-britischen Präventivkrieg gegen Irak und der anschließenden Degradierung der UNO zum Feigenblatt und einflusslosen Handlanger eines völkerrechtswidrigen Besatzungsregimes. Nur wenn dieser Zusammenhang klar benannt wird und daraus grundsätzliche Konsequenzen gezogen werden, lässt sich die Gefahr weiterer Anschläge auf Einrichtungen und Mitarbeiter der UNO bannen. Bisher allerdings wird dieser Zusammenhang mit Bekundungen des Entsetzens aus zahlreichen Hauptstädten sowie mit Durchhalteparolen des UNO-Generalsekretärs vernebelt.
Wer immer unmittelbar und eventuell als Drahtzieher im Hintergrund für den Anschlag von Bagdad verantwortlich war: Es gibt in der irakischen Bevölkerung bei aller Freude über die Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein eine weit verbreitete – wenn auch regional unterschiedlich stark ausgeprägte – Ablehnung der US-Amerikaner und Briten. Die Zerstörungen des Krieges und die von Washington und London bis heute zum Teil verschwiegenen Opfer unter irakischen Zivilisten und Militärs waren der Auslöser für diese Haltung. Noch verstärkt haben den Unmut die rüde Art des Besatzungsregimes und die bisherige Unfähigkeit der Besatzer, wenigstens die überlebenswichtigen Infrastruktureinrichtungen zu reparieren und das Versorgungsniveau zumindest wieder auf das seinerzeit vom UNO-Programm „Öl für Nahrungsmittel“ garantierte Vorkriegsniveau zu heben. In diesem allgemeinen Unmut können sich all jene sicher bewegen, die – mit welchen Motiven und Kalkülen auch immer – zu aktiver Gewaltanwendung gegen die Besatzer bereit sind.
Solange die UNO von vielen Irakern als einflussloses Feigenblatt und Handlanger der amerikanisch-britischen Besatzer wahrgenommen wird, ist auch sie Objekt dieses Unmutes, bleibt sie potenzielles Ziel weiterer Anschläge. Die Debatte über verstärkte Schutzmaßnahmen gegen Terroranschläge führt nicht weiter. Gerade die USA haben in den letzten Jahren bei eigenen diplomatischen und militärischen Einrichtungen im Ausland die Erfahrung gemacht, dass ein verlässlicher Schutz vor Terroranschlägen auch mit noch so ausgeklügelten und robusten Sicherheitsvorkehrungen nicht zu garantieren ist.
Als politisches Dilemma im Irak kommt hinzu, dass die UNO dort trotz aller – spätestens seit den Sabotageakten gegen Ölpipelines und der Erschießung eines dänischen Soldaten – erkannten Notwendigkeit zu verschärften Sicherheitsvorkehrungen nicht an einer starken US-Präsenz vor ihrem Hauptquartier interessiert war. Dies hatte der jetzt getötete Missionschef Sergio de Mello schon in seinem ersten Bericht höflich diplomatisch angedeutet: Die Präsenz der beiden Besatzungsmächte ist das zentrale Problem im Irak, und sie muss so schnell wie möglich beendet werden.
Eine Chance auf Veränderung der verfahrenen Lage besteht erst, wenn die UNO im Irak die Federführung in den Bereichen übernimmt, die für das Alltagsleben der Iraker bedeutsam sind: die Lösung militärischer und polizeilicher Fragen, politische, wirtschaftliche und humanitäre Aufgaben. Das heißt auch: Die UNO muss mit Polizisten und Soldaten aus Ländern, die nicht am Krieg beteiligt waren, die amerikanisch-britischen Truppen ablösen und die öffentliche Sicherheit im Irak gewährleisten. Erst im Kontext eines solchen umfassenden Mandats für die UNO ist auch die Debatte über ein verstärktes ziviles oder gar militärisches Engagement Deutschlands im Irak sinnvoll.
Solange aber Washington und London verhindern, dass die Vereinten Nationen diese Federführung übernehmen, sollte die Organisation ihre Arbeit im Irak einstellen. Je länger eine weitgehende Bevollmächtigung der UNO hinausgezögert wird, desto mehr wird die von einigen Gruppen geschürte pauschale Propaganda gegen „alle Ausländer“ in den Köpfen von immer mehr IrakerInnen auf fruchtbaren Boden fallen. Und dann hätte auch die UNO eines Tages keine Chance mehr.
ANDREAS ZUMACH