: berliner szenen Man trinkt Bier
Koma in Neukölln
Neulich in Neukölln. Vor der Kneipe ein paar Tische, Resopalplatten, darauf einige klebrige Flecken. An einem Tisch drei Leute, ein Rocker, langes Haar, und ein Paar. Die beiden waren offensichtlich einmal hübsch, nun sind sie nicht nur verblüht, sie sind regelrecht verwelkt. Er trotz seiner Lederhaut noch leidlich rotblond, sie trägt die dünnen Haare schwarz gefärbt. „Manu“, ruft er unter seinem rotblonden Schnauzbart hervor, „Manu, drei Bier!“ Die Wirtin kommt, eher angeschossen als angetrabt, ruft einen Namen, seinen, ruft aber vor allen Dingen ihren: „Manuela heiß ich, merk dir das! Merk dir das endlich!“ Er versucht, ihr in den Hintern zu kneifen, doch diesmal ist das keine beschwichtigende Geste. „Ey! Pfoten weg! Und noch mal: Sagt nicht ‚Manu‘ zu mir! Manuela! Klar?“
Drei Köpfe nicken brav. Wirtin ab. Sofort wieder da ist sie, drei Bier auf den Tisch, bumm! Am Nebentisch sitzt einer, eine Menschmaschine, braun gebrannt, die Muskeln gestählt. Designer-Cowboystiefel, Flammen sind auf das Leder gedruckt. Die Absätze stahlgestärkt. Und er trinkt Bier. Kleine Biergläser, sie werden an den Mund geführt, zackig, hier stört kein falsches Genießen die Saufarbeit. „Noch ein Bier! Für mich auch, Manu!“, ruft es vom Nachbartisch. Ein Wutschrei von der Theke, Rotblond duckt sich albern, feixt.
Ein weiterer Typ kommt, auch er ganz Mann, begrüßt den Maschinenmann per Handschlag – weit ausholen, kurz vorm Einschlagen leicht abfangen, dann langsam die Hand des anderen ergreifen, die Daumen bleiben abgespreizt. Auf die Wand wurden Helnwein-Rammstein-Porträts gemalt, es wird wohl etwas Dunkel-Romantisches ausdrücken. „Manu, wo isses Bier?“, ruft es wieder. Die Kneipe heißt Koma. JÖRG SUNDERMEIER