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Archiv-Artikel

Räumkommando wartet auf Campus-Einsatz

Durch eine Kündigung des Mietvertrages will Weißrusslands Staatschef die international renommierte Europäische Humanistische Universität kaltstellen. Zahlreiche Verhaftungen bei Demonstrationen gegen Alexander Lukaschenko

BERLIN taz ■ Weißrusslands autoritärer Staatspräsident Alexander Lukaschenko ist offenbar fest entschlossen, auch noch eine der letzten Bastionen unabhängigen und freiheitlichen Denkens zu schleifen. In der vergangenen Woche erhielt die Europäische Humanistische Universität in Minsk (EHU) Post aus der Präsidialadministration. Darin wird die Universitätsverwaltung ultimativ aufgefordert, die von ihr benutzten Gebäude, die Eigentum der Präsidialadministration sind, zum 5. August 2004 zu räumen, da der Mietvertrag auslaufe.

Kurz zuvor hatte Bildungsminister Alexander Radkow den Rektor der Universität, Anatoli Michailow, erneut zum Rücktritt aufgefordert. Michailow, der sich derzeit in den USA aufhält, war bereits mehrfach bedroht worden. Unlängst wurde ihm über Mittelsmänner ausgerichtet, dass seine eigene und die körperliche Unversehrtheit seiner Familie nicht länger garantiert werden könne. Man werde ihn finden – auch im Ausland.

Die EHU, die 1992 gegründet wurde, ist die einzige noch verbliebene nichtstaatliche Universität in Weißrussland. Über Partnerschaften mit zahlreichen ausländischen Hochschulen wie der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) verbunden, werden hier jedes Jahr mehrere 100 Studenten nach dem Vorbild westeuropäischer Curricula in Fächern wie Philosophie, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften und internationalem Recht ausgebildet.

Noch in dieser Woche wollen sich namhafte ausländische Wissenschaftler mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit wenden. Darin appellieren die Unterzeichner an ihre jeweiligen Regierungen, sich für den Erhalt der EHU einzusetzen.

Für Hans-Georg Wieck, von 1997 bis 2002 Chef der OSZE-Mission in Minsk, kommt der letzte Schlag nicht überraschend. Die Tatsache, dass der Lehr- und Wissenschaftskörper der EHU von den USA und der Europäischen Union maßgeblich geprägt sei, sei für Lukaschenko ein unerträglicher politischer Zustand. Jedoch müsse der Fortbestand der Universität unter allen Umständen sichergestellt werden. „Da ist der Westen gefordert. Wenn der sich jetzt nicht mit der EHU solidarisiert, verliert er noch weiter an Glaubwürdigkeit“, sagt Wieck.

Doch nicht nur die EHU hat das Regime knapp zwei Monate vor den Parlamentswahlen im Visier. So kam es in der vergangenen Woche bei Demonstrationen aus Anlass des zehnten Jahrestages des Amtsantritts von Lukaschenko zu zahlreichen Festnahmen. Einige Mitglieder der oppositionellen Jugendbewegung Zubr sowie der Koordinator der Menschenrechtsbewegung Charter 97, Dmitri Bondarenko, wurden zu mehrtägiger Administrativhaft sowie Geldstrafen zwischen umgerechnet 200 und 300 Dollar verurteilt.

Lukaschenko selbst zelebrierte das Jubiläum auf seine Art. Auf die Frage eines Journalisten nach dem Bericht des Mitglieds der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Christos Pourguridis, über das ungeklärte Schicksal mehrerer Verschwundener antwortete der Präsident mit einer Gegenfrage: Diese Leute seien in Deutschland gesehen worden. „Wo sind sie also? Diese Frage hat mir bis jetzt noch keiner beantwortet.“

Gleichzeitig kündigte Lukaschenko an, nach einer vorherigen Änderung der Verfassung per Referendum 2006 für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen. Dieses Szenario ist bestens erprobt. Bereits im November 1996 hatte sich Lukaschenko auf diese Art und Weise eine erste Verlängerung seiner Amtszeit besorgt und dabei gleich wesentliche Bestandteile der Verfassung mit ausgehebelt.

Nach Angaben des unabhängigen Instituts für Sozioökonomische und Politische Studien in Minsk liegt die Zustimmung zu einer weiteren Amtszeit Lukaschenko bei 35 Prozent. „Ein ehrliches Referendum kann Lukaschenko nicht gewinnen“, sagt der weißrussische Soziologe Waleri Karbalewitsch.

Doch das wird es in Weißrussland ohnehin nicht geben – genauso wenig wie ehrliche Parlamentswahlen. Nach dem erfolglosen Hungerstreik dreier Abgeordneter, die eine Änderung der Wahlgesetzgebung erzwingen wollten, ist jeglicher Manipulation zugunsten Lukaschenko-höriger Abgeordneter Tür und Tor geöffnet. Das weiß Lukaschenko. „Von den Verrätern und Abtrünnigen“, sagte der Präsident unlängst, „werden es höchstens zwei oder drei ins neue Parlament schaffen.“ BARBARA OERTEL