: „Hire and Fire schafft keine Jobs“
Wenn die CDU einen Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und Beschäftigungsangebot konstruiert, dann ist das unlauter – sagt der Arbeitsmarktexperte Holger Bonin. Er schlägt vor, den Kündigungsschutz durch Abfindungen zu ersetzen
taz: Herr Bonin, schafft ein gelockerter Kündigungsschutz neue Jobs?
Holger Bonin: Ob der Kündigungsschutz streng oder lasch ist – das wirkt sich nicht auf die Beschäftigung aus. Wir haben in einer aktuellen Studie 50.000 Betriebe mit weniger als 30 Mitarbeitern untersucht. Für diese Firmen hat sich in den letzten Jahrzehnten viel geändert, mehrfach wurde der Kündigungsschutz gelockert oder wieder angezogen. Wir haben eindeutig festgestellt: Allein ein geringerer Kündigungsschutz schafft keine Jobs.
Die CDU ist optimistischer.
Gemeinhin wird angenommen, dass die Kosten ziemlich hoch sind, die einer Firma durch den Kündigungsschutz entstehen. Doch das trifft offenbar nicht zu. Zudem ist es auch ohne ein neues Gesetz möglich, den Kündigungsschutz zu umgehen – etwa durch befristete Verträge, Minijobs oder Leiharbeit.
Die Union argumentiert aber, dass diese Sonderregelungen nicht reichen, um älteren Arbeitnehmern wieder einen Job zu vermitteln.
Für alle Arbeitnehmer sollten die gleichen Regeln gelten. Wenn wir jetzt Sonderkonditionen für Ältere schaffen, haben wir in Kürze ein Problem bei den jüngeren.
Aber grundsätzlich gilt doch, dass ältere Arbeitnehmer nur schwer einen neuen Job finden. Sollte man ihnen nicht einen Startvorteil verschaffen?
Natürlich sind ältere Arbeitnehmer ein Risiko für einen Betrieb. Sie werden häufiger krank, sind oft nicht mehr so belastbar oder können sich nicht so leicht in neue Bereiche einarbeiten. Diese Nachteile lassen sich nur ausgleichen, indem man altersgerecht entlohnt. Bisher gibt es den Anreiz, Ältere zu entlassen, denn es gilt das Senioritätsprinzip: Wer lange in einem Betrieb arbeitet, bekommt mehr Geld. Die geringere Leistungsfähigkeit von Älteren wäre kein Problem, wenn man ihnen weniger Lohn zahlen könnte – und der Staat gegebenenfalls das Einkommen ergänzt. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass es keine Anreize zur Frühverrentung mehr gibt. Sonst investiert kein Betrieb in die Fortbildung eines 55-Jährigen. Denn der Arbeitgeber weiß nicht, ob sich das noch lohnt. Auch der Arbeitnehmer hat wenig Anreiz, sich weiterzubilden, wenn er ohnehin bald in Rente gehen kann.
Unionspolitiker Friedrich Merz führt gern die Schweiz an, die keinen Kündigungsschutz kennt. Ist sie ein Vorbild?
Eine Fülle von Gründen ist dafür verantwortlich, dass in der Schweiz fast jeder Arbeit findet. Wenn Merz einen direkten Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und neuen Jobs feststellt, dann ist das unlauter. Ein Gegenbeispiel: Die Niederlande etwa haben einen recht hohen Kündigungsschutz – und auch eine niedrige Arbeitslosigkeit.
Aber spielen Fakten überhaupt eine Rolle? Reicht es nicht, dass Arbeitgeber sich subjektiv durch den Kündigungsschutz gegängelt fühlen – und deswegen keine neuen Jobs schaffen?
Firmenchefs wissen, dass sich ein wildes Hire and Fire schon finanziell nicht lohnt. Wenn der Arbeitnehmer jederzeit fürchten muss, entlassen zu werden, dann wird er sich nicht fortbilden. Warum sollte er sich Know-how aneignen, dass er nur in dieser Firma brauchen kann? Merz verlegt die Debatte auf einen Nebenschauplatz, der leicht öffentliches Echo findet. Unser System krankt doch nicht am Kündigungsschutz. Das Problem ist nicht, dass ein Tütenpacker im Supermarkt so umfassend vor Kündigung geschützt wäre. Sondern es fehlen solche Einfach-Arbeitsplätze.
Können wir also alles unverändert lassen, wie die Bundesregierung sagt?
Nein, sie sollte den Kündigungsschutz durch eine Abfindung ersetzen. Die bisherigen Regeln verunsichern viele Arbeitgeber. Wollen sie Mitarbeiter entlassen, müssen sie betriebsbedingte oder gesundheitliche Gründe oder ein grobes Fehlverhalten nachweisen. Ob das überhaupt möglich ist und wie viel ein Streit vor dem Arbeitsgericht kosten würde, lässt sich schwer kalkulieren. Mein Vorschlag: Je länger ein Mitarbeiter in einer Firma beschäftigt ist, umso mehr muss der Arbeitgeber ihm bei einer Entlassung zahlen. Dann weiß der Arbeitgeber genau, wie viel Euro ihn die Kündigung kostet.
INTERVIEW: COSIMA SCHMITT