zwischen den rillen
: Die andere Seite der HipHop-Stars: The Neptunes

Im Bauch der Produzenten

Eigentlich braucht man ja nur das Radio einzuschalten, möchte man die Neptunes hören. Ob „Frontin’ “ von Pharrell, Snoop Dogg’s „Beautiful“, Jay-Z’s „Excuse me, Miss“ oder Justin Timberlake’s „Senorita“ – irgendein Stück, für das sich das derzeit erfolgreichste Produzententeam der Welt verantwortlich zeichnet, läuft immer. Wie viele Platten sie verkauft haben, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen. Rund vierzig Stücke haben sie allein in den vergangenen zwölf Monaten für die verschiedensten Künstler produziert, kaum eines davon landete nicht in den Top Ten.

Mit ihrer Verbindung von hochkomplexen Synkopierungen mit eingängigen Melodien verleiten sie nicht nur Elfjährige in der New Yorker U-Bahn dazu, selbstverloren schwierige Rhythmen mit der Faust auf den Sitz zu klopfen. Und auch gestandene Kritiker beginnen regelmäßig zu hyperventilieren, wenn eine neue Neptunes-Produktion in die popmusikalische Wertschöpfungskette eingespeist wird. Zumal Pharrell Williams, neben Chad Hugo die eine Hälfte des Duos, es sich seit neuestem auch nicht nehmen lässt, einige dieser Produktionen mit seinem wunderbaren Falsettgesang zu veredeln.

Dass die beiden ihrem Album „The Neptunes present Clones“ nun eine DVD mit einem kurzen Dokumentarfilm über ihr Studio und ihre Freunde beigefügt haben, macht angesichts dieser Omnipräsenz Sinn. Fragt man sich doch tatsächlich, wie man sich ein solches Arbeitspensum vorzustellen hat. Viel zu sehen gibt es dann allerdings doch nicht: einen unspektakulären Flachbau in einem Gewerbegebiet in Virginia Beach, Virginia, darin ein Studio voll mit allen möglichen Geräten. Man sieht Pharrell Williams, wie er im Nebenraum eine Halfpipe rauf und runter rollert und mit seinem Handy telefoniert, und Chad Hugo, der erläutert, wie man Neptunes-Beats programmiert: „Die Snare muss dir den Hals umknicken, die Kickdrum muss dir in die Eingeweide schlagen. Tschackbumm, tschackbumm.“ Ansonsten wird man darüber aufgeklärt, dass Pharrell gewöhnlich seine Einfälle in ein kleines Diktiergerät singt und Chad Hugo dann dafür sorgt, dass aus dem Plop ein Rumms wird.

„The Neptunes present Clones“ ist eine Compilation, die zur einen Hälfte neue Stücke alter Bekannter vorstellt, von Busta Rhymes über Snoop Dogg bis zu Kelis und Ol’ Dirty Bastard (der sich nun das grandiose Pseudonym Dirt McGirt gegeben hat). Im Grunde soll die Platte aber die Künstler des neuen Star-Trek-Labels der Neptunes präsentieren, auf dem neben den bekannten The Clipse, deren Debütalbum im vergangenen Jahr erschien, noch eine ganze Reihe anderer Rapper aus Virginia Beach herauskommen sollen – diesem bemerkenswerten Kaff in den östlichen Südstaaten. Denn von dort kommen nicht nur die Neptunes her, sondern auch Tim Mosley alias Timbaland hat dort einige Jahre seiner Jugend verbracht – jener andere Superproduzent, dessen Stücke immer dann im Radio laufen, wenn gerade keine Neptunes-Produktion gespielt wird.

Pharrell singt zwar auf gut einem Drittel aller Stücke, seine Stimme dringt aber nur selten in den Vordergrund. Doch seine jungenhaft-nerdige Skater-Sexiness, die in ihrer verschmitzten Unschuld so gar nicht dem Bild von Männlichkeit entspricht, das im HipHop vorherrscht, wird ohnehin auf erstaunliche Art und Weise durch das Böse kontrastiert, das einem etwa aus den Gesichtern der Rapper Clipse entgegenschaut. Wie zwei Gangsterrapper bekunden die beiden in ihren Stücken ihre Freude darüber, trotz millionenschwerer Plattenverkäufe nach wie vor den Drogenverkehr in ihrem Viertel zu kontrollieren. Ihr Kurzauftritt auf der DVD zeigt die beiden dann auch dabei, wie sie auf einem Schießstand beängstigend treffsicher mit großkalibrigen Faustfeuerwaffen auf Zielscheiben ballern, die den Umriss eines menschlichen Körpers zeigen.

„Hot Damn“ von Clipse ist, genau wie „Rock ’n’ Roll“ von Roscoe P. Coldchain, luftdichter, von Synthiefanfaren durchtränkter und düsterer Hardcore-HipHop. Andere Stücke hören sich eher an, als seien da die übrig gebliebenen Skizzen für nicht realisierte Millionenhits zusammengekehrt worden. Dieser Sound ist um einiges bösartiger und gemeiner als das, was die Neptunes sonst unters Volk bringen. Und manchmal so minimalistisch, dass es einem fast den Atem abschnürt – so wie Coldchains „Hot“, das sich anhört, als bekäme man den Kopf unter Wasser gedrückt. An anderer Stelle wird man von opulenten Soundwellen geradezu überrollt.

Das ist nun nicht gerade das, was man von den Neptunes erwartet hat. Aber wer mehr ähnlich traumhafte Sommerhits hören will wie die sonnendurchflutete Vorabsingle „Frontin’ “, sollte besser das Radio anschalten. TOBIAS RAPP

Neptunes: „The Neptunes present Clones“ (Star Trek/Arista/BMG)