: Kenia bleibt korrupt
AUS NAIROBI ILONA EVELEENS
Es begann mit einem Staatsauftrag. Kenias Regierung wollte Anfang 2003 neue, fälschungssichere Pässe herstellen. Das sollte eigentlich zehn Millionen Dollar kosten. Drei Firmen bewarben sich, wurden aber aus technischen Gründen abgewiesen. Schließlich bekam die französische Betrieb François-Charles Oberthur Fiduciaire den Auftrag, ohne jemals ein Angebot gemacht zu haben – für 34 Millionen Dollar. Das war schon seltsam genug. Noch seltsamer war, dass im März 2004 die von den Franzosen als Finanzierer genannte britische Firma Anglo Leasing 1,3 Millionen Dollar an Kenias Regierung zahlte – als „Kommission“. Das ist eine übliche Umschreibung für korrupte Zahlungen von Firmen an Regierungen, um einen Auftrag an Land zu ziehen. Anglo Leasing war schon einmal am Bau von Labors für Kenias Geheimdienst CID beteiligt gewesen. Geld, das die Firma damals für Bauentwürfe kassiert hatte, floss ebenfalls an Kenianer zurück.
„Das Kanu-Regime brauchte 40 Jahre, um sich Milliarden Korruptionsgelder anzueignen. Die heutige Regierung brauchte nur ein Jahr“, bemerkte ein Fernsehkommentator bissig. Täglich erscheinen in den Medien neue Enthüllungen über die zweifelhafte Praxis rund um Regierungsaufträge in Kenia. Dessen neuer Präsident Mwai Kibaki gewann Ende 2002 die Wahlen mit dem Versprechen, mit der Korruption seines Vorgängers Daniel arap Moi aufzuräumen. Damit schaffte er den ersten demokratischen Machtwechsel in Kenia seit der Unabhängigkeit.
Die Staatspartei deckte auf
Es war nun die damals abgewählte frühere Staatspartei Kanu (Kenya African National Union), die den Schwindel mit dem Passauftrag aufdeckte. Aber das ändert nichts an der Realität. Die Finanz- und Innenministerien wuschen ihre Hände in Unschuld und bestritten die Kenntnis von den Millionenaufträgen. Dann sagten sie, Anglo Leasing habe die Gelder zurückgezahlt, die sie für nicht erbrachte Leistungen von der Regierung erhalten habe. Dann sagten sie, sie wüssten nicht, wer Anglo Leasing sei. Bis heute ist nicht geklärt, wer genau hinter der mysteriösen Firma steckt. Nach einigen Wochen Diskussion erklärte die Regierung zwar, es sei der Schweizer Geschäftsmann Michel Gruring. Allgemein wird jedoch vermutet, dass die Direktoren von Anglo Leasing eine Gruppe kenianische Geschäftsleute sind, mit guten Beziehungen sowohl zur amtierenden wie auch zu früheren Regierung. Erst letzte Woche erklärte Sicherheitsminister Chris Murungaru auf einer Pressekonferenz barsch, die Namen der Hintermänner von Anglo Leasing seien bekannt, aber man werde sie nicht preisgeben.
Kenia ist tief gesunken seit den euphorischen Wochen Ende 2002 und Anfang 2003, als Mwai Kibaki an der Spitze einer „Regenbogenkoalition“ (Narc) die Wahlen gewonnen und Präsident geworden war. Damals hatte Kibaki versprochen, Korruption unbarmherzig und mit allen Mitteln zu bekämpfen. Kenia wurde vom Paria Ostafrikas zum Hoffnungsträger und leuchtendem Vorbild der Erneuerung eines verkrusteten politischen Systems. Es begannen ausführliche Untersuchungen der Korruptionsaffären aus der Zeit des ehemaligen Präsidenten Daniel arap Moi. Die internationale Antikorruptionsorganisation Transparency International meldete erfreut, die Korruption in Kenia nehme unter Kibaki ab: Der Prozentsatz von Beamten, die Schmiergelder nehmen, sei von 65 auf 40 Prozent gesunken – andererseits habe die Höhe der Schmiergelder zugenommen, um das Risiko auszugleichen, erwischt zu werden. Dennoch: Das Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank nahmen ihre Zusammenarbeit mit Kenia wieder auf, die sie 2000 wegen der Korruption unter Moi eingestellt hatten. So bekam das Land wieder ausländische Finanzhilfen.
Die größte Korruptionsaffäre, die Kibaki untersuchen ließ, trägt den Spitznamen „Goldenberg“. So heißt eine Firma, die in der Moi-Ära schätzungsweise 600 Millionen Dollar aus der Staatskasse klaute. In den Anhörungen über diese Affäre fallen die Namen des Expräsidenten Moi, seiner Söhne, Töchter und Ratgeber ebenso wie die von hohen Politikern, des Generalgouverneurs der Zentralbank und des Direktors des Geheimdienstes. Die Enthüllungen bestätigen viel umfassender, als man je gedacht hätte, den Spitznamen „Moibutu“, den Kenias Präsident in den 90er-Jahren in Anlehnung an Zaires damaligen Willkürherrscher bekam.
Als der kleine indischstämmige Geschäftsmann Kamlesh Pattni bei den Goldenberg-Untersuchungen in einem Konferenzzentrum im Regierungsviertel von Nairobi aussagte, wurde es vollkommen still im Saal. Auf der Straße setzten sich die Menschen massenweise hin und lauschten den Ausführungen, die über Lautsprecher nach draußen klangen. „Das ist besser als jeder Soapopera“, flüsterte begeistert der Jurastudent Maina Kamau „Wir vermuteten so viel, aber Pattni sagt es laut. Obwohl diesem Gauner natürlich auch nicht zu trauen ist.“
Es fing 1987 an, als Pattni 22-jährig nach Kenia kam. Er arbeitete zunächst im Juweliergeschäft seines Bruders. Drei Jahre später kam er auf die Idee, man könne viel Geld verdienen, indem man Gold und Diamanten exportiert und dafür von der Regierung Exportbürgschaften bekommt. Das Problem: Kenia hat keine eigenen Diamanten und nur ganz wenig Gold. Egal, meinte Pattni: Es würden doch so viele Mineralien aus Kongo (damals noch Zaire), Südsudan, Ruanda, Tansania und Angola durch Kenia auf den Weltmarkt geschmuggelt. Daran könne man doch mitverdienen.
Nie mit leeren Händen
Für so ein Geschäft brauchte es mächtige Partner. Pattni fand Kontakt zu James Kanyotu, dem damaligen Geheimdienstchef. Der brachte Pattni in Verbindung mit Präsident Daniel arap Moi. Pattni schwört, das Moi in der daraufhin gegründeten Firma Goldenberg sein Geschäftspartner war. Er habe dem damaligen Staatschef immer persönlich seinen Gewinnanteil ausgezahlt, so Pattni. „Ich ging nie mit leeren Händen hin“, sagte er. Kofferweise habe er kenianische Shilling zum Präsidenten geschleppt. Moi hat immer seinen Anteil an Goldenberg verneint.
Experten meinen, dass Goldenberg am Anfang tatsächlich Gold und Diamanten exportierte. Aber nach einiger Zeit liefen die Ausfuhren nur noch auf dem Papier. Die Exportbürgschaften wurden dennoch nicht nur gezahlt – sie wurden sogar erhöht, von 20 auf 45 Prozent des angegebenen Exportwertes. Und es blieb nicht nur bei Gold und Diamanten. Verschiedene andere Firmen, darunter Banken, wurden von Pattni und seinen Partnern gegründet. Sie machten Geschäfte mit Devisen. Der Gewinn daraus, in Form von US-Dollar und britischen Pfund, war für Präsident Moi wie ein Geschenk des Himmels in einer Zeit, in der IWF und Weltbank ihre Hilfen an Kenia kürzten, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie ein Mehrparteiensystem einführt und die Korruption bekämpft.
Bei Kenias ersten Mehrparteienwahlen 1992 gab Pattni laut seinen eigenen Unterlagen 64 Millionen US-Dollar am Mois Regierungspartei Kanu. Während der Anhörungen wurde den Richtern eine Liste mit mehreren hundert Namen übergeben: Kenianer, die hohe Summen Geld dafür bekamen, dass sie Moi und Kanu politisch unterstützten. Moi war so zufrieden mit Pattni, dass er eine Hotline zwischen den beiden einrichtete. Ein Beamter der kenianischen Telefongesellschaft Telkom hat das vor der Untersuchungskommission schon bestätigt.
Die Kommission muss in ein paar Monaten ihren Abschlussbericht schreiben, und dann wird beschlossen, ob es zu Gerichtsverfahren kommt. Dass Expräsident Moi je vor den Richter kommt, ist unwahrscheinlich: Informell wurde ihm versprochen, dass er nicht juristisch verfolgt wird, wenn er sich aus der Politik heraushält. Aber andere Personen, die in der Goldenberg-Untersuchung belastet wurden, sind auch in der neuen Regierung von Mois Nachfolger Kibaki mächtig.
Ein Name, der oft genannt wird, ist George Saitoti, unter Moi Finanzminister und Vizepräsident und jetzt Kulturminister. Er gehört zu einer Gruppe von Moi-Vertrauten, die kurz vor den Wahlen 2002 Kanu verließen und sich Kibakis Koalition Narc anschlossen.
Aber die neuen Enthüllungen über die neue Korruption unter Kibaki droht, die alten Skandale des alten Moi in den Hintergrund zu drängen. In einer aufsehenerregenden Rede vor britischen Geschäftsleuten Mitte Juli fällte der britische Botschafter in Kenia, Edward Clay, ein vernichtendes Urteil über die Korruptionsbekämpfung Kibakis: „Die jetzt Regierenden sind so arrogant, gierig und vielleicht in einer verzweifelten Weise panisch, dass sie sich voll fressen“, sagte er. „Sie denken vielleicht, dass wir das nicht sehen oder nicht merken oder es ihnen verzeihen. Aber sie können kaum erwarten, dass wir uns darum nicht sorgen, wenn ihre Gefräßigkeit dazu führt, dass sie uns auf die Schuhe kotzen.“
Er nannte explizit die merkwürdigen Deals mit der „zwielichtigen“ Anglo Finance, „die unfähig ist, einen Schuppen hinzustellen, und nie mehr geliefert hat als Zeichnungen mehr oder weniger auf der Rückseite eines Briefumschlags und heiße Luft“. Allein der erste Vertrag mit ihnen habe den Umfang der geplanten EU-Finanzhilfen für Kenia in den nächsten drei Jahren erreicht – 125 Millionen Euro. Die korrupten Geschäfte der Regierung Kibaki summierten sich bisher, so Clay, auf 15 Milliarden kenianische Shilling (150 Millionen Euro) – die der Vorgängerregierung Moi, die viel länger im Amt war, auf 80 Milliarden. „Je länger die Regierung mit ihrer Reaktion auf Korruption wartet und versucht, die Beteiligten zu schützen, desto weniger wird ihr Spiel mit den Geberländern aufgehen.“
Kritik der Geberländer
Clays Bemerkungen wurden von der Regierung scharf kritisiert, die Beweise für die Anschuldigungen forderte. Aber andere EU-Regierungen sowie die Norwegens und der USA, zwei wichtige Geberländer, schlossen sich der Kritik an. Letzte Woche erklärte die EU-Vertretung in Nairobi, bereits vereinbarte Budgethilfen für Kenia in Höhe von 4,7 Milliarden Shilling (47 Millionen Euro) würden eingefroren. Das Geld, gedacht zur Deckung von Haushaltslücken in der Periode August bis Oktober, werde erst ausgezahlt, wenn die Untersuchung der Anglo-Leasing-Affäre abgeschlossen sei, sagte EU-Delegationsleiter Gary Quince nach einem Treffen mit dem Präsidenten. Die EU ist nach der Weltbank der wichtigste einzelne Geber Kenias, und die EU-Staaten leisten 40 Prozent aller internationalen Finanzhilfen für das Land, mit Deutschland an der Spitze.
Große Teile der Bevölkerung sowie zivilgesellschaftliche Gruppen und die Kirchen unterstützen die Position des Auslands. „Solche Dinge sollte Kenias Opposition sagen, aber leider ist die zu schwach“, erklärte ein Sprecher des Rates kenianischer Muslime. Und selbst die als Umweltschützerin weltweit bekannte Vize-Umweltministerin Wangari Maathai meint: „Was die Geber sagen, ist, dass sie nicht von ihren eigenen Bevölkerungen Steuern verlangen können, um uns Geld zu schenken, nur damit unsere Führer es stehlen.“ Genauso sprachen Kenias Demokraten in den 90er-Jahren über Moi.