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Archiv-Artikel

Nicht ohne meinen Sohn

Kazim Görgülü kämpft seit fünf Jahren um seinen Sohn. Obwohl der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg ihm das Sorgerecht zusprach, kann er den Fünfjährigen nicht treffen

VON ANNIKA JOERES

Die Bochumer Rechtsanwältin Azime Zeycan sieht ihren Mandanten gleich doppelt diskriminiert: „Görgülü ist nichtehelicher Vater und noch dazu türkischer Staatsbürger.“ Seit dem Tag der Geburt kämpft Kazim Görgülü um das Sorgerecht für seinen Sohn. Er und die Kindesmutter trennten sich kurz vor der Geburt, die Frau gab das Kind gegen seinen Willen zur Adoption frei. Beim Jugendamt Leipzig verweigerte man ihm das Sorgerecht und gab das fünf Monate alte Baby zu Pflegeeltern. Er könne ja Fotos von der Geburt haben. „Ich will keine Bildchen, ich will meinen Sohn“, sagt Görgülü und schluckt. Am Montagabend erzählte er in Bochum von seinem Kampf.

Dabei gab ihm sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Recht. Der beschied im Frühjahr, dass Görgülü seinen leiblichen Sohn sehen darf. Genützt hat ihm das Straßburger Urteil nichts: Görgülü hat seinen nunmehr fünfjährigen Sohn Christofer noch nicht wiedergesehen. Das Oberlandesgericht Naumburg verweigerte dem Vater erneut sein Recht. „Ich bin todtraurig“, sagt Görgülü. Er sei sich diesmal sicher gewesen, seinen kleinen Christofer endlich treffen zu können.

Görgülü und seine jetzige Frau haben vor vier Jahren zunächst vor dem zuständigen Amtsgericht Wittenberg das alleinige Sorgerecht für Christofer erstritten, das OLG Naumburg hob die Entscheidung wieder auf, das angerufene Bundesverfassungsgericht in Karslruhe lehnte es daraufhin ab, sich des Falls überhaupt anzunehmen.

Erst Rechtsanwältin Zeycan machte dem Ehepaar neue Hoffnungen. Sie zog vor den Straßburger Gerichtshof. Drei Jahre wartete die Familie auf das Urteil. Die RichterInnen befanden, dass der leibliche Vater „unzweifelhaft willens und fähig ist, für Christofer zu sorgen“. Görgülü wurde darüberhinaus ein Schadensersatz von 15.000 Euro zugesprochen, zahlen muss die Bundesrepublik. Bisher allerdings erkennt das OLG Naumburg das Urteil nicht an. „Europäisches Recht bricht nationales Recht, das können die deutschen Juristen nicht einfach ignorieren“, sagt Zeycan. Sie hat jetzt erneut Eilanträge an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestellt, auf Adoption und Besuchsrecht. „Nach dem Gesetz müssen erst alle Möglichkeiten ausgeschöpft sein, die leiblichen Eltern zusammenzuführen“, sagt Zeycan. Dies habe das Jugendamt und auch das Naumburger Gericht versäumt, mit der Nicht-Anerkennung des Straßburger Urteils sogar zum wiederholten Mal. Für Zeycan ist klar: „Das verstößt gegen die Menschenrechte.“

Zeycan glaubt, dass ihr Mandant auch Opfer von Rassismus wurde. In der Urteilsbegründung aus Naumburg heißt es: „Christofer wird hoffnungslos damit überfordert sein, verständig mit der Problematik eines gemischtnationalen Kindes umzugehen.“ Überaus bedenklich findet Zeycan das. „Wie kann ein deutsches Gericht binationale Menschen als Problem beurteilen?“ Für die Rechtsanwältin darf so etwas „einfach nicht passieren“. Das OLG Naumburg will sich zu dem Urteil nicht äußern.

Inzwischen kämpft auch der bundesweite Verein „Väteraufbruch für Kinder“ (VAFK) an der Seite von Kazim Görgülü. „Dies ist kein privater Fall“, sagt ihr Vorsitzender Dietmer Webel. Es sei ein gesellschaftliches Problem, dass nichteheliche Väter in Deutschland kaum Rechte an ihrem Kind hätten. „Als seien sie ohne Trauschein gar nicht Väter geworden.“ Trotzdem ist der Fall Görgülü einzigartig: „Dass einem Vater von Grunde auf die Vaterschaft verweigert wird, hat es noch nie gegeben.“