: Pauschale Ablehnung
Bei der Nominierung für die Olympischen Spiele in Athen gab es sieben Härtefälle. Statt diese einzeln zu überprüfen, entschied sich das NOK dafür, allen die Teilnahme zu verweigern. Nun setzt es Kritik
VON FRANK KETTERER
Das Ende des langen Kampfes kroch am Montagabend in Briefform aus dem Faxgerät. Das Nationale Olympische Komitee (NOK) hatte es abgeschickt, und für Daniel Becke stand darin Trauriges zu lesen: Er, der Bahnrad-Olympiasieger von Sydney, habe die Nominierungskriterien des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) nicht erfüllt, das NOK schon aus diesem Grund keinen Anlass zur Nachnominierung gesehen, Becke werde also nicht mitgenommen zu den Spielen nach Athen. Der Rest: ein „Tut uns Leid“ – das übliche Blabla eben.
Siegfried Fröhlich kann es auch anderntags noch nicht fassen. „Wir haben verloren“, sagt Beckes Rechtsanwalt, „traurig, aber wahr“, findet er das. Becke selbst spricht davon, dass es ihm schwer falle, die NOK-Entscheidung nachzuvollziehen, „vor allem, wenn man die Begleitumstände in Betracht zieht“. Die Begleitumstände sind so, dass Becke zwar der derzeit beste deutsche Bahnradfahrer ist, mit dem nationalen Verband aber seit gut einem Jahr ziemlich im Clinch liegt. Als Folge dessen tat der BRD alles, um Becke die Teilnahme an Weltcups und der WM unmöglich zu machen, nur dort aber hätte sich der Erfurter für Olympia qualifizieren können, genau dazu kam es folgerichtig nicht. Da Becke in Athen ein ziemlich sicherer Medaillenkandidat gewesen wäre, hat er dennoch bis zuletzt auf die regulative Kraft des NOK gehofft, zumal am Ende sogar der BDR zu Sinnen gekommen war und ihn doch noch zur Nominierung vorgeschlagen hatte, „weil denen klar war, dass meine olympische Finalteilnahme nicht aus der Luft gegriffen war“, wie Becke glaubt. Umso größer war die Enttäuschung, als das NOK ihn letzte Woche wieder von der Liste der Olympiastarter strich.
Dass er ob seiner Vorgeschichte dem NOK von Anfang an als so genannter Härtefall galt, war Becke bewusst; dass eine detaillierte Prüfung der speziellen Umstände seines Falls nur zu dem Schluss würde führen können, dass er an der Situation, die im Übrigen einen ziemlichen BDR-Skandal darstellt, keine Schuld trägt, dessen war er sich lange Zeit ziemlich sicher. Was Becke da noch nicht wissen konnte: Das NOK hat sich auf seiner letzten Nominierungsversammlung letzte Woche offenbar erst gar nicht die Mühe gemacht, ins Detail zu gehen. Über insgesamt sieben Härtefälle hatte die NOK-Komission dort zu befinden, allesamt wurden sie abgelehnt. Dies freilich geschah keineswegs nach einer genauen Einzelprüfung der unterschiedlichen und bisweilen nicht unkomplizierten Fälle, sondern pauschal, in einem Aufwasch. Dem Vernehmen nach soll sich das NOK-Präsidium in die ersten drei Fälle so verbissen haben, dass es danach die Lust verlor – und per Eilabstimmung gegen eine Einzelfallprüfung votierte. Damit stand fest: Wer die Nominierungskriterien seines Verbandes nicht buchstabengetreu erfüllt hatte, egal warum, war aus dem Rennen. „Zu mir hat einer pointiert gesagt: Die Herrschaften wollten Mittag essen. Die Besprechung der ersten drei Härtefälle hat etwas zu lang gedauert, also haben sie das Procedere abgekürzt“, so Daniel Becke gegenüber der Berliner Zeitung. Wie er das als Leidtragender empfindet, will er nicht verschweigen: „Dürftig. Es geht ja teilweise um existenzielle Entscheidungen für Sportler.“ Bahnradkollege Sven Teutenberg, bei Olympia eigentlich fürs Punktefahren und die Zweiermannschaft vorgesehen und nun auch Opfer des NOK-Mittagsmahls, pflichtet dem Kollegen bei. „Das NOK sollte für den Sportler da sein und ihm gerecht werden. Wenn man dann erfährt, dass man nicht einmal als Einzelfall betrachtet wird, kriegt man einen Hals“, so Teutenberg, der angekündigt hat, gerichtlich gegen den Entscheid vorgehen zu wollen. Nicht minder peinlich für das NOK: Nur zwei Tage nach seiner Pauschal-Ablehnung musste es den Tennisprofi und Härtefall Florian Mayer auf Geheiß von ganz oben doch noch nachnominieren. IOC-Präsident Jacques Rogge hatte sich für den Wimbledon-Viertelfinalisten ausgesprochen, der Internationale Tennis-Verband ITF hatte dies gefordert.
Eine solche Lobby besitzt Daniel Becke nicht, obwohl sich NOK-Präsident Klaus Steinbach im Vorfeld noch persönlich um den Fall gekümmert hatte – und die skandalträchtigen Hintergründe im BDR sehr wohl kannte. Becke, so rät der NOK-Präsident jedenfalls in der Berliner Zeitung, solle dem BDR dafür „danken“, dass er die Nominierungskriterien nicht habe erfüllen können und nun in Athen nicht starten darf. „Wenn das so gesagt wurde“, findet Becke-Rechtsanwalt Fröhlich, „ist es eine untragbare Aussage.“