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Archiv-Artikel

Hilfe ohne Grenzen

Hamburger Chirurg Jörg Nitschke verbrachte drei Monate in Kamerun und behandelte dort an der Buruli-Erkrankung Leidende

„Aus dem Klinik-Alltag in den Ruhestand zu rutschen, kam für mich nie in Frage“

von MAREIKE ADEN

Kamerun war für den 65-jährigen Jörg Nitschke stets ein Land irgendwo in Afrika. Bis zu dem Tag im Januar 2003, an dem der Chirug erfuhr, dass er in dem zentralafrikanischen Land am Golf von Guinea bald als „Arzt ohne Grenzen“ tätig sein würde. Dort zu arbeiten, „wo die Medizin weniger technisch begünstigt ist“, war schon lange Nitschkes Traum.

„Ich wollte mich zurückbesinnen auf das, was ich gelernt habe und alle meine Fähigkeiten zum Einsatz bringen“, sagt der 65-Jährige, der bis zum vergangenen Jahr leitender Oberarzt der Chirurgie in einer Frankfurter Großklinik war und jetzt in Klein Flottbek lebt. „Aus dem Klinik-Alltag in den Ruhestand zu rutschen, kam für mich nie in Frage“, betont Nitschke.Und so bewirbt er sich im Oktober 2002 bei „Ärzte ohne Grenzen“, der seit 1971 bestehenden privaten medizinischen Nothilfe-Organisation.

Am 26. März erreicht der Chirug Yaoundé, die Hauptstadt Kameruns, in der 1,5 Millionen Menschen leben. Von dort geht es weiter in die 140 Kilometer entfernten Ortschaften Akonolinga und Ayos. Nitschkes Aufgabe ist die Behandlung von so genannten Buruli-Geschwüren. Grund für die große Ausbreitung der Tropenkrankheit in diesem Gebiet ist der anliegende Fluss Nyong. „Die dort umherschwirrenden Mücken übertragen den Buruli-Erreger an die Bevölkerung, die dort wäscht und badet“, erklärt Jörg Nitschke. Die zunächst schmerzlosen Geschwüren können im fortgeschrittenen Stadium die Funktion von Gelenken beeinträchtigen. Manchmal sind sogar Amputationen nötig. „Die Betroffenen glauben, die Geschwüre seien eine Strafe für etwas Verbotenes, das sie getan haben oder tun wollten.“ Deshalb gingen alle zunächst zum Heiler des Dorfes, dessen Behandlung mit Pflanzen und Säften, die geschwüre manchmal sogar verschlimmere.

„Gegen Buruli gibt es kein Mittel, da hilft nur raussschneiden und anschließend Haut transplantieren“, so Nitschke über seine Arbeit, die er an einem „verrotteten und verkommenen OP-Tisch“ durchführt. Die Mehrzahl seiner Patienten sind Kinder. Ihre Mütter schlafen auf dem Boden des Krankensaales und versorgen sie mit selbst gekochten Mahlzeiten aus den Essensvorräten, die „Ärzte ohne Grenzen“ wöchentlich einkauft: Zucker, Mais, Erdnüsse, Reis und Bohnen. „Die Unterernährung verschlimmert oft den Krankheitsverlauf“, sagt Nitschke. Unterstützt wird der Deutsche von einer spanischen Krankenschwester des „Ärzte ohne Grenzen“-Programmes und sieben Einheimischen. Es ist Teil seiner Aufgabe einigen dieser chirurgisch unausgebildeten Mitarbeiter beizubringen, die Behandlung selbst durchzuführen. „Das war gar nicht so einfach ohne bevormundend und dominierend zu wirken“, erinnert er sich.

In der Woche arbeitet Jörg Nitschke rund 10 Stunden täglich, schneidet Geschwüre heraus, transplantiert Haut und wechselt Verbände. Er lebt in einem kleinen Bungalow nahe der Krankenstation, oft fallen Wasser und Strom aus, „aber zum Duschen reicht auch ein Eimer mit kaltem Wasser“. Die Wochenenden verbringt der Arzt zusammen mit anderen Projekt-Teilnehmern in der Hauptstadt, „um sich zu erholen und Kontakt nach Hause aufzunehmen“.

Am 23. Juni, drei Monate nach seiner Ankunft, geht es zurück nach Deutschland. „Es war zwar schön wieder frische Hemden im Schrank zu haben“, erinnert sich Nitschke an die ersten Tage zu Hause. „Aber es fiel mir schwer, mich wieder an den Luxus zu gewöhnen, in dem wir alle leben.“ Inzwischen arbeitet ein anderer „Arzt ohne Grenzen“ in der kleinen Krankenstation in Akonolinga, im Osten von Kamerun. Und in Flottbek wundert sich Jörg Nitschke manchmal, wie leicht es ihm auf einmal fällt, „mit sich selbst zufrieden zu sein“.