: Die Geschichte einer Rebellin
Die Zionskirche in Mitte war ein Hort des Widerstands gegen das DDR-Regime. Bis zur Wende blieb sie für Störer zugänglich. Das Prinzip der Offenheit hat sich der 130 Jahre alte Bau bewahrt. In diesen Tagen feiert er doppeltes Jubiläum
von LAURA MÜLLER
Ein Ostberliner Kirchenkonzert im Herbst 1987: Die 500 Gäste am Abend des 17. Oktober sind begeistert vom New Wave der Westberliner Band Element of Crime. Vorher ist die Ostberliner Punkband Freygang aufgetreten. Als das Konzert schon fast zu Ende ist, stürmt eine Hand voll Skinheads in den Saal. Vor der Tür kommt es wenig später zu einer Schlägerei zwischen Punks und Neonazis. Die Volkspolizei schaut zu, greift aber nicht ein. Schauplatz der Szene ist die Zionskirche in Mitte. Der heute 130 Jahre alte Backsteinbau liegt, von hohen Bäumen umrandet, jenseits der Kastanienallee auf dem Weinberg.
Wilfried Rüddenklau war damals dabei und erklärter Gegner des DDR-Regimes: „Die Rechten sind damals von der Stasi angestachelt worden, um die oppositionelle Zionsgemeinde aufzumischen.“ Beweise gibt es nicht. Rüddenklau war in der Nacht des 24. November 1987 während einer Durchsuchung der Zionskirche von der Stasi verhaftet und eingesperrt worden. Stasichef Mielke hatte in der Zionskirche einen Hort oppositioneller Aufrührer gewittert.
Zu Recht, denn in den Keller der Kirche war 1986 die „Umweltbibliothek“ eingezogen. Hier lagerten mit Genehmigung des damaligen Pfarrers der Zionskirche, Hans Simon, sowohl Westliteratur als auch verbotene Werke ostdeutscher Schriftsteller. Westpolitiker wie Petra Kelly und Wilhelm Knabe sollen Autoladungen von Büchern persönlich vorbeigebracht haben. Außerdem ging hier die landesweit bekannte Oppositionellenzeitschrift Umweltblätter in Druck. Dazu kamen Ausstellungen und Konzerte staatlich verfolgter Künstler.
Die Verhaftungen und Hausdurchsuchungen in der Zionskirche machten die Bevölkerung wütend. Erste spontane Protestaktionen starteten und lösten eine Welle landesweiter Mahnwachen aus. Nachdem wochenlang Bilder von öffentlichem Protest in Westmedien und auch in der DDR über die Mattscheibe gelaufen waren, wurden die Verhafteten plötzlich freigelassen. Die Zionskirche blieb bis zur Wende offen für „Störer“ des offiziellen Systems.
Eine offene Kirche scheint auch heute noch das Prinzip der Zionsgemeinde zu sein. An vier Tagen in der Woche kann hier jeder eintreten, der Ruhe sucht – kein Gottesdienst, kein Bibelkreis, keine Verpflichtung. Im letzten Winter kamen auch bei Minusgraden die coolsten Mädchen und Jungs des In-Viertels Mitte in die Kirche. „Sicher wurden die von der Musik angelockt“, sagt die Pfarrerin der Gemeinde, Anneli Freund. „Mit einigen Musikern habe ich verabredet, dass sie in der Kirche proben dürfen und dafür aufpassen, dass nichts passiert.“
Heiligabend strömten über 400 Leute in die ungeheizte Zionskirche. Die halbe Million Euro für eine Heizungsanlage muss die Kirche noch auftreiben. Pfarrerin Freund sieht dem „Verdrängungsprozess“ in der Gemeinde nur ungern zu: Arme und Ostdeutsche gehen, Reiche und Westdeutsche kommen. Freund will verhindern, dass die alte Bevölkerung wegzieht, und hofft, dass die Kirche ein Treffpunkt für beide Seiten wird.
Für den Förderverein der Kirche, der Teile der Sanierungskosten trägt und mit Sammelaktionen wie „Lichter für Zion“ den Betrieb der Kirche am Laufen hält, sind die Westdeutschen längst unverzichtbar. Der Vorsitzende Götz von Randow preist das „bürgerschaftliche Engagement“ pensionierter Bonner und Hannoveraner Beamter. Von Randow weiß, welchen architektonischen und historischen Reiz die Zionskirche besitzt.
Im Jahr 1931 hatte hier der evangelische Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer seine erste Stelle als Vikar angenommen. Überliefert ist von dem damals 25-Jährigen sein Einsatz für Konfirmanden aus dem angrenzenden Wedding.
Ob Sozialromantik oder Widerstandsgeist die Pfarrer der Zionsgemeinde leitete, sei dahingestellt. Aufgefallen ist die Zionskirche in ihrer 130-jährigen Geschichte mehr als einmal, nicht zuletzt wegen starker Persönlichkeiten.
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