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Archiv-Artikel

Glück geht vor Konsum

Die Zukunft der Arbeit (Teil 12): Wenn man für den „Liebesunterhalt“ genauso hart arbeitet wie für den Lebensunterhalt, wenn man also emotionale Arbeit leistet, profitiert davon auch die Gesellschaft

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die letzte Folge unserer Serie handelt von der emotionalen Erweiterung des Arbeitsbegriffs

von GENEVIÈVE HESSE

Die Erwerbsarbeit ist zu Ende – Millionen von erwerbslosen Menschen erleben es tagtäglich. Doch propagiert die Arbeitsmarktpolitik immer noch das Märchen der Vollbeschäftigung. Zwar soll es eine neue „und nicht mehr die alte“ Vollbeschäftigung sein, so die schönredende Rhetorik. Doch in der Praxis schaukelt sich der Kleinkrieg um die letzten Arbeitsplätze auf. Wird Erwerbslosigkeit immer noch mit Diskriminierung und Tod assoziiert, sind Angestellte immer kompromissbereiter, was ihre Gehälter und ihre Gesundheit angeht, ein Segen für wirtschaftliche Interessen. Erwerbsarbeit ist nicht nur immer knapper, sie macht immer kranker.

Deswegen ist es dringend nötig, Arbeit neu aufzufassen. Dafür ist es nicht nötig, lange nach neuen, überflüssigen oder staatlich inszenierten Dienstleistungen mit Niedrigbezahlung zu suchen. Es reicht aus, die vielfältigen Aktivitäten als „Arbeit“ zu definieren, die – bisher – meistens Frauen im Schatten der Erwerbsarbeit erledigen. Ich taufe sie „emotionale Arbeiten“. Es geht um die inneren Aktivitäten, die ein Mensch für sich selbst und im Umgang mit anderen Menschen oder mit der Natur erledigt. Dafür muss er sich nicht in einem Verein oder in einer öffentlichen Organisation befinden. Emotionale Arbeiten gibt es genug mit Freunden, Verwandten, Lebenspartnern oder den eigenen Kindern in der privaten Sphäre zu erledigen. Im Gegensatz zum Putzen, Kochen und Aufräumen ist es kaum möglich, sie zu delegieren. Vernachlässigen BürgerInnen ihre emotionalen Arbeiten, entstehen Krankheiten, Süchte oder Neurosen. Aber auch ohne Selbstliebe können Menschen der Welt nichts Gutes geben – oder es droht das Helfersyndrom bzw. die Arbeitssucht. In diesem Sinne kann sogar der Spaziergang im Wald als emotionale Arbeit gelten, insofern er dazu dient, über die eigene, innere Entwicklung nachzudenken. In einer „liebesbehindernden Gesellschaft“, so der Beziehungspapst Michael Lukas Moeller, „bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als für den ‚Liebesunterhalt‘ ebenso zu arbeiten wie für den Lebensunterhalt“.

Bei Begriffen wie Trauerarbeit, Beziehungsarbeit, Selbstarbeit, ja sogar Liebesarbeit fassen sich viele Kritiker der Erwerbsarbeit an den Kopf. Der Arbeitswahnsinn dürfe doch nicht auch noch das private Leben erobern! Sie vergessen, dass emotionale Arbeiten durchaus anstrengend sind. Mit Muße haben sie nur selten zu tun und mit Faulheit noch weniger. Davon können allein stehende Eltern ein Lied singen – und auch Menschen, die das Niemandsland der Erwerbslosigkeit entdecken, Freunde in den Tod begleiten, eine Scheidung erleben oder irgendeinen Schicksalsschlag bewältigen müssen. Genauer betrachtet ist Faulheit nur die Kehrseite der Leistungsgesellschaft. In der Freizeit gilt das passive Rumhängen als Pendant zur fremdbestimmten Arbeit. Mit Lebendigkeit hat das wenig zu tun.

Hingegen bringen emotionale Arbeiten kostbares Leben in die Gesellschaft. Das Reichtum verlagert sich von dem Haben in die Richtung des Seins, der Konsum geht zurück. Für die auf Wachstum fixierte Wirtschaft ist es eine Katastrophe – für das menschliche Glück ein perfektes Düngemittel.

Aber haben emotionale ArbeiterInnen nicht auch einen hohen gesellschaftlichen Mehrwert? Läuten sie nicht eine neue Ökonomie mit positiven Wirkungen auf Gesundheit und Umwelt ein? Dank ihrer Mühe spart die Gesellschaft immense Summen an Reparaturkosten. Denn glückliche Menschen brauchen weniger kostenintensive Medikamente und Operationen; Verkehr und schädliche Emissionen gehen zurück, da innere Bewegung nur ab und zu materielle Fahrzeuge braucht. Vielleicht werden emotionale Arbeiten eines Tages den Planet vor dem Umweltkollaps retten.

Emotionale ArbeiterInnen können nicht nur Berge versetzen, sie motivieren Teams, sorgen für Versöhnung, haben einen kreativen Durchblick. Kluge Manager setzen diese Kräfte bewusst und erfolgreich ein. Das Unternehmen wird zur besseren Familie, es steigert die Produktivität. Spätestens bei einem ernsthaften Interessenkonflikt oder bei einer Kündigung ist aber Schluss damit. Wirtschaftliche Imperative haben Vorrang vor menschlichen Bedürfnissen. Die berufliche Emotionalität ist zweckorientiert. Sie muss in der aktuellen Erwerbsarbeit kontrolliert werden. Entwickelt sie sich frei, kann sie für Unternehmen verheerende Folgen haben.

Emotionale Arbeiten sind schwer mit einer durchgehenden finanziellen Rentabilität zu vereinbaren. Sie setzen einen offenen Prozess voraus, dessen Ergebnisse kaum im Voraus festzulegen sind – ein Albtraum für Auftrags- und Arbeitgeber! Darin liegt auch ihr großer Unterschied zur Erwerbsarbeit. Sie beinhalten leere, schmerzhafte und unproduktive Phasen, sie brauchen manchmal Jahre.

Deshalb braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen für emotionale ArbeiterInnen. Es sollte keine staatliche Erfolgskontrolle vorsehen und höher als die aktuelle, erniedrigende Sozialhilfe liegen. Wirtschaftlich ist das machbar. Rechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Sozialhilfeinitiativen oder des Verbandes der Familienfrauen und -väter belegen es.

Der vollständige Beitrag von Geneviève Hesse: „Die Arbeit nach der Arbeit – für eine emotionale Erweiterung des Arbeitsbegriffes“ steht im Sammelband „Arbeit als Lebensstil“, Alexander Meschnig/Mathias Stuhr (Hg.), edition suhrkamp 2308, 10 €