: „Die ist verboten“
Die unabhängige Zeitschrift „Dan Chim Viet“ für Auslandsvietnamesen kämpft ums Überleben: Nur wenige Händler trauen sich, sie zu verkaufen
VON MARINA MAI
Hinter den Plattenbauten im äußersten Süden der tschechischen Hauptstadt liegen nur noch ein paar Meter Prag. Hier, noch hinter der Satellitenstadt, ist Gewerbegebiet für Prags Vietnamesen. In Tschechien leben nach staatlicher Statistik 29.000 Vietnamesen, die nach den Slowaken und Ukrainern die drittgrößte Ausländergruppe darstellen. Die Dunkelziffer bei Vietnamesen dürfte ebenso hoch sein wie die offizielle Zahl. „Sapa-Markt“ steht an dem Tor, durch das ein teilnahmsloser tschechischer Pförtner die Autos hindurchwinkt. Hier kaufen Vietnamesen ein: Gartenzwerge, Textilien, Korbwaren, Taschen, Zigaretten, böhmisches Glas. Das verkaufen sie entlang der tschechisch-deutschen und tschechisch-österreichischen Grenze.
In einem Lebensmittelladen steht ein Zeitungsständer. Die Händlerin führt nur in Vietnam lizensierte staatliche Zeitungen. Auf die Frage nach der unabhängigen Dan Chim Viet (Vietnamesische Vogelschar), einer populären Monatszeitschrift für Auslandsvietnamesen, winkt sie ab. „Die ist verboten.“
Diese Zeitschrift wird in Warschau von Auslandsvietnamesen für Vietnamesen in Europa herausgegeben. Traditionell findet sie vor allem Leser in Osteuropa. Neben Lifestyleberichten und Sport informiert sie auch über politische Themen aus Vietnam und aus den vietnamesischen Gemeinden in Europa und orientiert sich dabei nicht an der offiziellen Staatsmeinung. Wie die taz im vergangenen Jahr berichtet hatte, wurde seit Mai 2003 der Vertrieb der Dan Chim Viet in Prag durch Sicherheitsbeamte der vietnamesischen Botschaft und die botschaftstreue Leitung des Sapa-Marktes behindert. Die vietnamesische Botschaft hatte gegenüber Medien jedoch jede Beteiligung an der Behinderung zurückgewiesen. Die Marktleitung hatte den Prager Vertreter des Blattes nach dessen Angaben unsanft des Marktes verwiesen. Danach seien die Leute gekommen, die in den vietnamesischen Subwirtschaften in Tschechien, Deutschland, Polen und Russland gefürchtet werden: „Soldaten“, also die untersten Chargen der Mafiabanden. Um ihre Macht zu demonstrieren, trugen einige von ihnen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) zufolge die vietnamesische Armeeuniform. Sie hätten rund 500 Restexemplare des Blattes konfisziert, so die IGFM.
Ein Mitarbeiter der Lebensmittelhändlerin berichtet: „Wenn meine Chefin Dan Chim Viet verkaufen würde, bekäme sie keine Ware mehr von Landsleuten.“ Keine Mangos und Papayas, keine frischen Küchenkräuter, die Vietnamesen auf böhmischen Feldern anbauen, und keine Zeitungen aus Vietnam. „Sie müsste den Laden zumachen.“
Vietnamesen haben in Tschechien eine von der Mehrheitsgesellschaft abgeschottete Subwirtschaft. Die Botschaft muss nur den Import-Export-Firmen mit dem Entzug von Genehmigungen drohen. Dann werde das Verbot im Laufe der Zeit von oben nach unten durchgereicht. Vor einem Jahr war die Dan Chim Viet nur auf dem Sapa-Markt in Prag verboten. Heute ist sie es in der gesamten Tschechischen Republik. Das Verbot zehrt an der wirtschaftlichen Existenz der Zeitschrift. „Die Auflage ist im Laufe des letzten Jahres auf 5.000 zusammengeschrumpft“, erzählt Nguyen Thang Luong, Deutschland-Vertreter des Blattes. Die Hochglanzseiten wurden reduziert. Die zweite Generation von Vietnamesen spricht überall in Europa gut die jeweilige Landessprache und wird keine vietnamesischsprachigen Zeitungen lesen. Die modern aufgelegte Redaktion ist also auf die traditionell orientierten Einwanderer angewiesen. Die werden oftmals überfordert, wie ein Zeitungshändler aus Berlin berichtet: „Ich habe mein Leben lang von Onkel Ho nur wie von einem Halbgott gehört.“ Damit meint er Vietnams Revolutionshelden Ho Chi Minh. „Wenn diese Zeitschrift jetzt kritisch über seine Studienzeit in Moskau berichtet, verletzt sie meine Gefühle.“ In den Berliner Asiamärkten haben die Händler aber eine Regelung für den Vertrieb der Zeitschrift gefunden, mit der sie leben können: Die Dan Chim Viet-Vertreter verkaufen sie selbst – und nicht die ansässigen Händler.