„Wir stellen die Republik nicht auf den Kopf“

Nach dem Karlsruher Urteil dämpft die grüne Fraktionschefin Krista Sager die Erwartungen an die Berliner Föderalismuskommission

taz: Frau Sager, in seinem Urteil zur Juniorprofessur hat das Verfassungsgericht die Rechte der Länder gestärkt. Hat der Bund in Deutschland jetzt überhaupt noch etwas zu sagen?

Krista Sager: So dramatisch sehe ich das nicht. Auch in der Föderalismuskommission geht die Tendenz dahin, Kompetenzen im Bildungsbereich noch stärker an die Länder zu geben. Strittig ist aber, ob es ein Mindestmaß an gemeinsamen Regelungen durch Bundesgesetz geben soll, um die Mobilität von Studenten und Personal zu gewährleisten.

Bei der Bildung schneidet Deutschland international schlecht ab. Hat der Föderalismus versagt?

Im Gegenteil. Das Problem liegt darin, dass die Länder ihren Spielraum nicht genutzt haben. Sie sind alle den gleichen Weg gegangen, am drei- oder viergliedrigen Schulsystem festzuhalten.

Aber liegt das nicht daran, dass die Mühle der Kultusministerkonferenz jede Veränderung zermalmt?

Wenn es um Mobilität und internationale Wettbewerbsfähigkeit geht, brauchen wir einige gemeinsame Regelungen. Einheitliches ist aber besser in einem Bundesgesetz zu regeln, denn die Kultusministerkonferenz und Staatsverträge sind unglaublich schwerfällige Instrumente.

Die anderen Reformversuche gibt Rot-Grün jetzt also auf – etwa bei den Ganztagsschulen oder bei der frühkindlichen Bildung?

Überhaupt nicht. Die Frage, wer die Schulgesetze macht, ist nicht identisch mit der Frage, ob der Bund diese Bereiche gezielt fördern darf. Ich finde es sehr kurzsichtig, dass einige Länder solche gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern verhindern wollen.

Der Bund bettelt also bei den Ländern, dass er ihnen Geld geben darf – und von einer grundsätzlichen Reform ist gar keine Rede mehr?

Wir haben weder ein Interesse daran, uns in Richtung Zentralstaat zu entwickeln, noch ein Interesse, uns in Richtung Staatenbund zu bewegen – auch wenn einige der großen Länder die Tendenz haben, dass sie sich den Rest der Republik von der Hacke wischen wollen.

Alles bleibt also beim Alten?

Das muss es nicht unbedingt heißen. Es gibt durchaus Bereiche, wo weder die Bürger noch die Wirtschaft ein Interesse haben, sich mit 16 verschiedenen Regelungen auseinander zu setzen.

Welche Bereiche sind das?

Das gilt vor allem für das Recht der Wirtschaft, aber auch für das Thema Umwelt. Da müssen wir den Anschluss finden an die europäische Ebene. Für Boden, Luft und Wasser sind in Deutschland verschiedene Ebenen zuständig. Das hat bisher ein einheitliches Umweltgesetzbuch verhindert, das wir im Interesse von Transparenz und Bürokratieabbau aber dringend bräuchten.

Innenminister Otto Schily fordert bei Polizei und Verfassungsschutz mehr Kompetenzen für den Bund.

Bei diesem Thema bin ich froh, dass sich die Länder einer Tendenz in Richtung Bundespolizei widersetzen. Dadurch bleibt uns ein rot-grüner Streit erspart.

Worum geht es dann Anfang September auf der rot-grünen Kabinettsklausur zum Föderalismus?

Da werden wir eine gemeinsame Marschroute entwickeln müssen. Bei diesem Thema gibt es in allen Parteien unterschiedliche Bewertungen zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den Ländern selbst. Die wirtschaftsstarken Länder haben andere Interessen als schwächere Länder.

Auch die großen Länder müssen einem möglichen Kompromisspaket zustimmen. Wie wollen Sie das schaffen?

Was wir erwarten, ist ja nicht dramatisch. Wo es um erhebliche Folgekosten für die Länder geht, werden die Ministerpräsidenten ohnehin nicht auf die Mitsprache im Bundesrat verzichten.

Nochmals: Alles bleibt beim Alten?

Es wäre eine irrige Erwartung, dass bei der Föderalismusreform die ganze Republik auf den Kopf gestellt wird. So schlecht ist die Verfassung nicht.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN