: „Die Kontrolle ist doch längst weg“
Bei den Grünen sorgt Privatisierung in der Daseinsvorsorge für Zoff. Über die Zukunft von BSR, BVG und Krankenhäusern streiten im taz-Gespräch die beiden Abgeordneten Jochen Esser (Pro) und Barbara Oesterheld (Contra)
Moderation STEFAN ALBERTI
taz: In Partei und Fraktion gibt es Streit über einen Fraktionsbeschluss, auch Landesunternehmen der Daseinsvorsorge zu privatisieren, was auch BSR, BVG und Krankenhäuser betreffen soll. Frau Oesterheld, was ist so schlimm an diesem Kurs?
Barbara Oesterheld: Viele bisherige Privatisierungen haben nichts anderes gebracht als Lohndumping. Außerdem gehe ich nicht davon aus, dass Private alles besser machen als die öffentliche Hand. Drittens: Ich kann die Daseinsvorsorge nicht auslagern, weil Private nicht verpflichtet sind, sich am Gemeinwohl zu orientieren, sondern Gewinne machen müssen.
Gewinnstreben gleich schlechtere Versorgung und höhere Kosten für die Bürger?
Oesterheld: Man muss genau gucken: Was kann man outsourcen, was geht nur zu Lasten von Bürgerinnen und Bürgern oder Beschäftigten?
Jochen Esser schüttelt schon den Kopf …
Jochen Esser: Halten wir erst mal fest: Wir streiten nicht, die Bankgesellschaft zu verkaufen ...
… weil wir ja über die Unternehmen der Daseinsvorsorge sprechen.
Esser: So wurde die Bankgesellschaft doch auch betrachtet – billige Kredite bereitzustellen für jedermann. Aber gut, Aufregung gibt es um die Bereiche BVG, BSR, Wohnungsbau und in letzter Konsequenz Krankenhäuser. Und da ist für mich ein kontrollierter Wettbewerb nach skandinavischem Vorbild das Zukunftsmodell. Die EU wird uns das sowieso dekretieren. Abfallwirtschaft und Nahverkehr sind grüne Zukunftsmärkte, die höchst entwicklungsfähig sind – aber nicht als Staatsmonopol.
Frau Oesterheld befürchtet schlechtere Leistungen für Bürger und Beschäftigte, weil Private Profit machen müssen
Esser: … während unsere Staatsbetriebe sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie fähig sind, Verluste auf Kosten der Bürger zu machen. Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen in privater Hand effizienter arbeiten können, und das kommt dem Bürger zugute. Und was die Beschäftigten angeht: Die Gehälter bei BVG und BSR sind genau der Grund, warum uns diese Betriebe viel zu teuer kommen.
Oesterheld: Eins ist mir völlig schleierhaft: Wir sind zum einen noch nicht mal in der Lage, die Staatsbetriebe vernünftig zu kontrollieren – weswegen wir ja ein stärkeres Beteiligungscontrolling fordern. Auf der anderen Seite aber stellt man sich vor, dass man noch die Hand drauf hat, wenn man alles privatisiert.
Esser: Dafür sind doch die Ausschreibungen da, die Vorgaben machen – Versorgungsumfang, Qualität wie Taktzeiten im Nahverkehr und so weiter.
Oesterheld: Das mag ja beim Abfall und bei der BVG klappen – bei den Krankenhäusern geht das so einfach nicht.
Esser: Das ist auch für mich der schwierigste Bereich. Aber letztlich funktionieren schon heute private Kliniken, eingebettet in staatliche Rahmenbedingungen, genauso wie öffentliche.
Wie wollen Sie verhindern, dass sich später, nachdem der Staat seine Kliniken verkauft hat, nicht doch eine Situation ergibt, in der ein Anbieter dominiert und der Wettbewerb nicht funktioniert …
Oesterheld: … und die Privaten dann vor allem die Leistungen anbieten, die für sie am profitabelsten sind, andere aber nicht.
Esser: Das ist alles eine Frage der Marktordnung – Märkte ohne Ordnung funktionieren nicht. Entscheidend ist: Ich kann das über Ausschreibungen besser steuern als über Vorgaben an landeseigene Unternehmen. Die machen keineswegs das, was Bürger und Staat wollen.
Oesterheld: Das unterstellt ja, dass Private stets die besseren wären. Wir haben in Berlin doch jede Menge andere Fälle. Was ist, wenn eine Firma plötzlich sagt: Das und das machen wir nicht mehr?
Esser: Das lässt sich doch regeln, mit Konventionalstrafen.
Und wer zahlt die, wenn der Laden pleite geht?
Esser: Dann kommt der nächste Anbieter.
Da gehen Sie aber von einem idealen Markt aus.
Esser: Ja, davon gehe ich in diesen Bereichen aus, wo sich Märkte entwickeln. Ich hab auch noch nicht gehört, dass, seit wir privat telefonieren, die Telefonleitungen in Deutschland zusammengebrochen sind, weil die alle Pleite gegangen wären. Der Rest ist Marktregulierung, nicht zuletzt durch Kartellrecht.
Halten wir fest: Herr Esser vertraut den Kräften des Markts, bei Frau Oesterheld herrscht Misstrauen vor …
Oesterheld: … aus Erfahrung mit Privatisierungen in Berlin.
Esser: Also, wenn es eine Erfahrung gibt, dann doch die realsozialistische. Da war nämlich die gesamte Gesellschaft nach dem Muster der BSR als Angebotsdiktatur organisiert. Historisch komme ich ja auch aus dieser Ecke, und wer das einmal erlebt hat, der ist von dem Gedanken geheilt, man könnte das alles kontrollieren.
Oesterheld: Wir reden doch nicht über Staatssozialismus.
Esser: Was anderes sind denn Bankgesellschaft und BSR? Alle privaten Pleiten waren nicht so teuer wie die Pleite des real existierenden Sozialismus.
Oesterheld: Die war immer noch billiger als die Bankgesellschaft (lacht selbst, als Esser protestiert). Grundsätzlich gilt: Wenn ich privatisiere, verschiebe ich Verantwortung. Dabei gab es mal eine Zeit, als BVG-Preise im Parlament beschlossen wurden.
Herr Esser, Sie haben keine Angst, hier als Abgeordneter die Kontrolle zu verlieren?
Esser: Die ist doch längst weg. Das haben wir doch bei der BSR erlebt. Es kam nichts auf den Tisch, was auch nur ansatzweise so war, wie das Parlament es wollte. Deshalb sage ich: Machen wir einen Kosten- und Qualitätswettbewerb mit festen Vorgaben.
Oesterheld: Das reicht mir nicht. Ich bin doch in die Politik gegangen, um mitreden und Missstände beseitigen zu können.
Esser: Ich ja auch. Ich habe nur nicht mehr deine Illusionen.
Wie wahr, könnte jetzt Benjamin Hoff sagen, Wirtschaftsexperte der PDS-Fraktion. Der sieht in Ihnen, Herr Esser, einen aus Verzweiflung zum Neoliberalen mutierten Linken.
Esser: Der soll mir erst mal erklären, was an unserem Kurs anders ist als die progressive Entstaatlichung, von der er immer spricht. Denn das ist doch gar keine neoliberale Politik, die wir da machen. Neoliberal war die Privatisierung des Schienenverkehrs in England – mit den bekannt schlechten Ergebnissen.
Oesterheld: Das kannst du laut sagen.
Esser: Wir kommen aber an Wettbewerb nicht vorbei, weil sich sonst nie die nötige Kreativität entwickelt. In einem Dinosaurier von Staatsbetrieb kann das in 100 Jahren nicht klappen.
Dann holen Sie doch Private rein und damit die Kreativität, behalten aber 50,1 Prozent.
Esser: Das wäre der allergrößte Mist, die schlechteste Lösung.
Oesterheld: Das sehe ich auch so: Da ziehen die Privaten Geld raus, und der Staat darf zahlen.