: Auch mal was liegen lassen – sogar sich selbst
Der Sommer 2004 kennt kein Sommerloch und keine Saure-Gurken-Zeit, können doch Politiker den Rand nicht halten
Von wegen Sommerpause. Es kehrt einfach keine Ruhe ein. Das politische Personal dieses Landes kennt keine Schonzeiten. Das Wild ist der Wähler. Die Waffe ist das Wort. Die Jäger des verlogenen Satzes sind ständig auf der Pirsch und legen auf alles an, was nicht bei drei die Stöpsel in den Ohren hat. Zugute kommt ihnen die Not ihrer Erfüllungsjagdgehilfen von Presse, Funk und Fernsehen. Die stellen ihre Reviere eilfertig zur Verfügung. Da wird gern noch mal alles genommen, was den Rand sowieso noch nie halten konnte, denn die Saure-Gurken-Organe müssen auch in den Ferienmonaten randvoll gemacht werden.
Die brutal lässigen Sommerinterviews mit bretthart hemdsärmeligen Frage-Antwort-Darstellern auf Berliner Regierungsterrassen sind seit Jahren obligatorisch. Hier kann das zoologisch interessierte Medienpublikum erfahren, dass Politiker und Journalisten in Polo-Shirts und Freizeitblusen nicht zwangsläufig einen ästhetischen Fortschritt verkörpern. Ebenso wenig sensationell ist jedes Mal wieder die Erkenntnis, dass inhaltlich auch nichts anderes in ihnen drin ist als das, was an gewöhnlichen Werktagen rauskommt.
Redaktionen mit höherem Spesensatz lassen ihre flugtauglichen Mitarbeiter auch gern mal an die so genannten Urlaubsorte der dort auf sie wartenden Politiker nachreisen. Gedruckt werden die Tegern-, Wolfgang- oder Ostsee-Gesprächsprotokolle dann meist in unterarmdicken Wochenendausgaben von Zeitungen, die der erfahrene Naturliebhaber sonntags morgens kauft, um damit nachmittags aggressive Sommerwespen zu erschlagen, bevor die auf der Erdbeertorte mit Sahne landen.
Wer allerdings seine wertvolle Freizeit mit der Lektüre dieser Ferien-Artikel totschlägt, gewinnt nichts für sein persönliches Fortkommen, sondern nur die Erkenntnis, dass der deutsche Politiker Eindruck schinden will. Den nämlich, er sei immer im Dienst für Volk und Vaterland und rastlos auch im schwer erträglichen Zwangsurlaub damit beschäftigt, Deutschland zu reformieren, was im Zwangsdeutsch der aktuellen Reformpolitiker vor allem heißt, „Urlaub kürzen“, „Kündigungsschutz abschaffen“ und ansonsten „mehr arbeiten“.
Ich will meinen Arbeitstag nicht unnötig damit in die Länge ziehen, mir Politikerköpfe zu zerbrechen. Deswegen zum Schluss nur ein flüchtiger Sommergedanke, der mir gerade schmetterlingsleicht durchs Gebälk flatterte: Taugt der durcharbeitende Politiker als Vorbild? Ist die 80-Stunden-Woche des Regierungs- und/oder Oppositions-Angestellten ein gesamtgesellschaftliches Modell zur Rettung Deutschlands? Oder könnte es vielleicht sein, dass die restriktive Anwendung der noch geltenden Arbeitszeitgesetze auf deutsche Politiker dazu führte, dass das faule Volk weniger unter umnachteten Entscheidungen übernächtigter Entscheidungsträger zu leiden hätte?
Mit anderen Worten: Auch mal was liegen lassen. Sogar sich selbst. 38-Stunden-Woche für Politiker, Wochenende frei. Werktags spätestens um 17 Uhr die Karte stechen, noch mal über alles schlafen, am nächsten Morgen einigermaßen erholt ins Büro gehen und ganz normal seine Arbeit machen.
Das hilft auch gegen Zwangsvorstellungen beziehungsweise gegen alle Arten von Visionen, die einen ansonsten sogar bis in die Sommerpause verfolgen.
FRITZ ECKENGA