: „Keine Frage, das ist krass“
Gespräch mit dem momentan weltbesten Schachspieler Viswanathan Anand über seinen Boykott der WM des Weltverbandes Fide, das Chaos im Schachsport und die erstaunliche Flexibilität des umtriebigen Garri Kasparow
„Der Tiger von Madras“ ist bisher eher ein zahmes Kätzchen gewesen, wenn sich Diskussionen um den weltbesten Schachspieler entfachten. Jetzt bezeichnet sich der bescheidene Viswanathan Anand aber ungeachtet seiner Position als Weltranglistenzweiter als die wahre Nummer eins. Den neuen Anspruch unterstreicht der 34-jährige Inder derzeit auch wieder in Dortmund am Brett, wo er bei den stark besetzten Schachtagen heute gegen den Ungarn Peter Leko um den Einzug ins Finale spielt. Das andere Halbfinale bestreiten die beiden Russen Wladimir Kramnik und Peter Swidler.
taz: Herr Anand, wie fühlt man sich als bester Schachspieler auf dem Globus, für den Sie selbst Weltmeister Kramnik inzwischen hält?
Viswanathan Anand: Das ist natürlich ein schönes Gefühl, zumal ich ja auch den Schach-Oscar als bester Spieler erhielt. Offenbar registrieren die meisten Leute, dass meine Ergebnisse in den vergangenen zwei Jahren ziemlich gut ausfielen.
Wieso führt Garri Kasparow die Weltrangliste trotzdem immer noch offiziell an?
Kasparow ist grundsätzlich einer der Größten der Schach-Geschichte. In den vergangenen zwei Jahren hat er aber kaum gespielt. Der Russe profitiert davon, dass das Elo-System dies im Gegensatz zu anderen Weltranglisten im Sport nicht ausdrückt. Es reicht dabei, an ein, zwei Turnieren teilzunehmen, um vorne zu bleiben. Natürlich ist er ein großer Spieler, das bestreitet niemand, aber in den vergangenen zwei Jahren war mein Spiel (gluckst) – ich spielte häufiger (lacht herzlich).
Trotz Ihrer Ausnahmestellung haben Sie sich geweigert, in Libyen einen Anlauf auf Ihren zweiten WM-Titel beim Schach-Weltverband Fide zu nehmen. So eliminierte der usbekische Weltranglisten-54. Rustam Kasimdschanow die wenigen angetretenen Asse und wurde sensationell Weltmeister.
Ich war nicht mit dem Modus einverstanden. Ich habe es nicht nötig, mich für ein WM-Duell gegen irgendjemanden zu qualifizieren – auch nicht für ein WM-Finale mit dem gesetzten Kasparow, das nun Kasimdschanow bestreiten soll. Deshalb entschloss ich mich, es sein zu lassen. Meiner Meinung nach verhinderten die Absagen von fast 20 Topspielern, dass in Tripolis von einer richtigen Weltmeisterschaft gesprochen werden kann.
Kasparow spaltete 1993 die WM von der Fide ab, dann beschimpfte er ein Jahrzehnt lang den Fide-Präsidenten Kirsan Iljumschinow als Verbrecher – und nun paktiert er mit ihm und lässt sich für das Fide-Finale setzen.
Keine Frage, das ist krass. Aber gut, manche Leute sind flexibel.
Sehr flexibel?
Stimmt, aber da gibt’s noch ein paar mehr von der Sorte. Mal sehen, wie flexibel er in der russischen Politik sein wird.
Wäre es gut fürs Schach, wenn Kasparow in die Politik gehen würde? Vor kurzem wirkte er erneut an einer Parteigründung in Russland mit.
Ich bin nur neugierig zu sehen, ob er in der bleibt oder in die ein oder andere weiterwechselt.
Und um das WM-Geschacher kümmern Sie sich einstweilen nicht?
So kann man es nicht sagen. Ich hätte schon gerne die erneute Chance, Weltmeister zu werden. Aber das ist alles so lächerlich. Ich konzentriere mich daher nicht auf die Diskussionen, sondern auf meine Turniere: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Ich baue keine Luftschlösser. Ein einziger Weltmeister wäre der Beleg für Sponsoren, dass wir wieder eine vernünftige Schach-Organisation haben. Fasst ein Geldgeber Schach ins Auge, entdeckt er derzeit nur ein Chaos.INTERVIEW: HARTMUT METZ