: Mehr Windkraft für Deutschland?
Ja
Ja. Denn ohne sie wird sich unser Klima wandeln. Und solange Strom wettbewerbsverzerrend billig ist, muss der Ausbau der Windkraft gefördert werden.
Anfang des letzten Jahrhunderts waren die Worpsweder Künstler in heller Aufregung: Hilfe, die Landschaft wird verschandelt! Eine Eisenbahn sollte gebaut werden. Ende des letzten Jahrhunderts waren die Naturschützer in heller Aufregung: Hilfe, die Autobahn verschandelt die Landschaft! Jetzt sind es Paddler, Umweltminister und Atomlobbyisten, die aufschreien: Windräder verschandeln die Landschaft!
Mal abgesehen davon, dass ich die meisten Windparks als ästhetisch in die Landschaft eingebunden empfinde – dem Verschandelungsargument ist nicht zu begegnen. Jeder hat das Recht, Bahntrassen, Autobahnen, Windparks als Verschandelung zu empfinden. Genauso wie Schornsteine, Hochhäuser, Gewerbeparks. Genau genommen ist menschliche Entwicklung nichts anderes als aneinandergereihte Naturverschandelung. Das kann man nicht ändern, allenfalls dämpfen. Und da hat die Windkraftbranche zweifelsfrei Fehler in der Vergangenheit gemacht.
Darum geht es in der aktuellen Debatte aber gar nicht. Nach dem heißen Sommer steht uns ein – politisch – heißer Herbst bevor. Erneuerbares-Energien-Gesetz (EEG), Steinkohlesubvention, Klima-Zertifikatshandel, Energiewirtschaftsgesetz, Regulierungsbehörde – jetzt werden die klima- und energiepolitischen Weichen für mehrere Dekaden gestellt. Es geht also um viel, und da ist der traditionellen Energiewirtschaft jedes Argument recht.
Zum Beispiel das Subventionsargument. Ab sofort gilt für alle, die im Zusammenhang mit dem EEG von Subvention reden: Klappe halte, erst mal schlau machen! Subventionen sind „geldwerte Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln“. Windenergie wird aber durch eine Umlage gestützt: Nicht der Staat, sondern wir Verbraucher zahlen den Ausbau der regenerativen Energien – mit derzeit etwa 12 Euro je Haushalt und Jahr. Natürlich wird diese „Mehrbelastung“ proportional zum Ausbau der Windenergie steigen. Natürlich kann man diese „Mehrbelastung“ beklagen. Sie ist aber gerecht: Wir, die Verursacher der Treibhausgase, werden in Verantwortung genommen. Bilanziert man, dass Windkraft im Vergleich zu fossilen Energien eine Reihe zerstörerischer Umweltfolgen vermeidet – deren Beseitigung andernfalls der Staat tragen müsste –, summieren sich 65 Euro Ersparnis pro Haushalt. Keine schlechte Rendite.
Die Politik hat – aus klimapolitischer Einsicht – das Ziel ausgegeben, Mitte des Jahrhunderts die Hälfte der gesamten Energie aus regenerativen Quellen generieren zu wollen. Zu erreichen ist das nur mit Off-shore-Windparks. Die aber brauchen einen technologischen Vorlauf. Wiesen Windräder vor zehn Jahren noch Nennleistungen von 100 Kilowatt auf, gibt es heute erste Prototypen von Off-shore-fähigen 5-Megawatt-Windrädern. Zu dieser rasanten Entwicklung wäre es ohne die politische Lenkung und ohne unseren Obolus nie gekommen.
Dass sich die Windkraft derzeit nur dank der Einspeisevergütung rechnet, ist einer energiepolitischen Altlast gestundet: Zwei Drittel der deutschen Großkraftwerke sind abgeschrieben, der Strompreis entsprechend günstig. Für Industriekunden sank er seit 1990 um 30 Prozent. Zum Vergleich: Im EU-Durchschnitt ging der Strompreis nur um 9 Prozent zurück. Schon in zehn Jahren wird aber Schluss sein mit dem super Strompreis. Dann nämlich müssen die Energiekonzerne in neue Kraftwerke investieren. Damit werden zwangsläufig die Strompreise steigen – auf Windstromniveau.
Wenig geholfen ist der Windkraft aber durch selbstgefällige Gegenargumente: Selbstverständlich kostet Windenergie Steuergeld. Viele Windparkfonds werden nur deshalb gezeichnet, weil sie veritable Abschreibungsmöglichkeiten bieten. Selbstverständlich sind 12.800 Megawatt installierter Jahresleistung für die Branche traumhaft. Sie liefern aber nicht 12.800 Megawatt pro Jahr – der Wind bläst ja nicht ständig. Selbstverständlich darf darauf verwiesen werden, dass Steinkohle subventioniert, die Atomwirtschaft durch steuerfreie Rückstellung prächtig vom Staat gefördert wird. Das ändert aber nichts daran, dass der Kilowattstunde Windenergie mehr Förderung zuteil wird.
Die Branche hat solche Argumente gar nicht nötig – sie ist per se die Zukunft. Fossile Energieträger haben den Nachteil, dass sie klimaschädlich sind – und endlich. Atomkraft ist so sicher wie die Rente oder dass der Sozialismus siegt. Windräder hingegen sind klimatisch hocheffizient. Moderne Anlagen amortisieren sich in puncto Kohlendioxid in knapp fünf Monaten. Deshalb ist der Ausbau der Windkraft überlebenswichtig. Und garantiert werden sich in den nächsten 20 Jahren die Paddler, Umweltminister und Lobbyisten an den Anblick der Windräder gewöhnen.
NICK REIMER, 37, ist diplomierter Umwelt- und Energieverfahrenstechniker und seit 2000 taz-Redakteur für Wirtschaft und Ökologie
Nein
Nein. Denn Windkraft ist nicht gleich Klimaschutz. Zudem ist das Verfahren gar nicht so Kosten-Nutzen-effektiv, wie seine Befürworter gern vermitteln.
Beim Thema Windkraft drehen sich nicht nur Rotoren, sondern auch Meinungen. Auch ich habe früher die Nutzung der Windkraft eher positiv gesehen. Wenn ich mich jetzt als Kritiker von Windkraftanlagen oute, ist das auch eine gezielte Provokation. Bei bundesweit 13.000 Windkraftanlagen – davon 1.200 Windräder allein in Brandenburg – darf niemand die Augen davor verschließen, dass es an der Zeit ist, über Kosten, Nutzen und Alternativen nachzudenken.
Immer wieder lese ich schwärmerische Berichte von den vorzüglichen Umweltwirkungen der Windkraftnutzung. Hierzu ist zunächst einmal anzumerken, dass Windkraft an sich keine einzige Tonne Kohlendioxid substituiert. Vielmehr werden bei der Herstellung und Errichtung von Anlagen Unmengen an Klimagasen produziert. Bekanntlich ist in Europa genug Strom vorhanden. Kein Kohlekraftwerk wird schließen müssen, auch wenn der letzte Horizont durch Rotorblätter verwirbelt wird. In Deutschland, dem Land mit den meisten Windrädern der Welt, gehört die Windkraftbranche zu den großen Eisen- und Stahl-Verbrauchern. Bis ein Windrad so viel verwertbare Energie erzeugt hat, wie zu seiner eigenen Herstellung aufgewandt wurde, vergehen bis zu 20 Jahre.
Damit bin ich beim Thema Arbeitsplätze, welches die Windkraftbefürworter – offenbar weil Umweltargumente allein nicht als tragfähig empfunden werden – gern in den Mittelpunkt ihrer Argumentationen rücken. Wenn durch Windkrafträder oder Anlagenbauer Arbeitsplätze geschaffen werden, dann begrüße ich dies rückhaltlos.
Wie immer in der Wirtschaft ist aber auch hier eine Kosten-Nutzen-Rechnung anzustellen. Aus der Vorstellung des Energieberichts 2002 der Bundesregierung geht hervor, dass jeder Arbeitsplatz in der Windkraftbranche mit 150.000 Euro subventioniert wird. Ist dies Wertschöpfung in einer Region für eine Region? Ich kann nur vermuten, wie viele Windkraftanlagen im Eigentum geschlossener Beteiligungsfonds abschreibungswilliger Zahnwälte sind. In den allermeisten Fällen bleiben den Gemeinden nur die Pachteinnahmen für das Land, das sie den Betreibern von Windkraftanlagen zur Verfügung stellen. Alles andere: Pustekuchen (um im Bild zu bleiben).
Dass sich die Windkraft derzeit nicht rechnet, belegt letztlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit seiner Einspeisungsverpflichtung in die Stromnetze. Zwar mag die propagierte monatliche Mehrbelastung mit einem Euro pro Familie auf den ersten Blick gering erscheinen; aber leider ist dies nur die halbe Miete. Denn um eben diese Netze überhaupt für die Aufnahme der Windkraft fit zu machen, müssen die regionalen Stromversorger Millionen investitieren, um die Schwankungen der Einspeisung ausgleichen zu können. Windkraftanlagen arbeiten nämlich diskontinuierlich: An durchschnittlich nur 77 Tagen im Jahr erzeugen sie Strom, während sie die restlichen 288 Tage stillstehen. Die erwähnten Investitionskosten werden auf die Stromkunden der jeweiligen Einzugsgebiete umgelegt. Diese Kosten können allerdings erheblich sein und die Strompreise insgesamt in die Höhe treiben.
Der Tourismuswirtschaft verdirbt die Verspargelung der Landschaft das Geschäft, wie Umfragen eindeutig belegen. Im Gegensatz zu Strommasten sind die bis zu 130 Meter hohen Windräder irritierende, bewegliche Landmarken. Bei Nacht und trüber Sicht sind ihre blinkenden Positionslichter ein Horror für Anwohner und Autofahrer. Dass gerade Umweltschützer, die doch sonst um jeden Meter Bach kämpfen, sich über die negativen Wirkungen von Windkraftfeldern auf die Aviofauna hinwegsetzen, will ebenfalls nicht in meinen Kopf. Gegen Windkraft zu sein, heißt noch lange nicht, gegen erneuerbare Energien zu Felde zu ziehen. Im Gegenteil sehe ich in diesem Bereich große Chancen für die Umwelt und für die Wirtschaft. Die Windkraft soll einen Platz, aber nicht den Platz im Energiemix bekommen. Wo Windhöffigkeit und Umgebung es zulassen, wird es auch langfristig Windkraftanlagen geben können.
Für Brandenburg etwa favorisiere ich die konfliktärmeren Möglichkeiten bei der Nutzung von Solartechnik und Biomasse – übrigens auch mit Blick auf den regionalen Arbeitsmarkt.
Die exklusive steuerliche Förderung der Windkraft hat die Entwicklung anderer erneuerbarer Energieträger gewiss nicht vorangetrieben – möglicherweise sogar blockiert. Nachdem die Stromnetze einmal für die Windkraftbetreiber ausgebaut sind, wird kaum ein Stromanbieter noch einmal Geld für die Biomasse oder den Solarstrom ausgeben wollen.
WOLFGANG BIRTHLER, 56, ist Minister für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg