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Archiv-Artikel

berliner szenen Brandenburg live

Krautrock und Rahmpilze

Das Wetter ist schön, also bleiben wir in der Stadt. Kein Grund, es denen gleichzutun, die bei den ersten Sonnenstrahlen ihre Räder richten, sich in überfüllte S-Bahnen quetschen, in einer Brandenburger Kleinstadt ankommen, die den Charme eines Sonntagmorgens in Hellersdorf versprüht, um dort Schweinemedaillons mit Rahmpilzen aus der Dose zu bestellen. Nicht mit uns. Jedenfalls nicht in der Regel. Doch sind Regeln dazu da, durchbrochen zu werden. So packten auch wir den Rucksack, genossen Kopfsteinpflaster und Rahmpilze und kamen abends im kleinen Dorf hinter Potsdam an. In der Pension Bäcker lief zunächst alles nach Plan: die Polstergarnitur, die Hinweisschilder, welcher Müll wo zu entsorgen sei.

Aber dann: das Frühstück unter freiem Himmel. Die Bäckers pflegen einen wilden Garten, wie man das nur von Hippies kennt. Kein Wunder, dass er in den Siebzigerjahren bei einer der brutalsten Krautrockbands der DDR Gitarre gespielt hat. Danach arbeitete er als Beschaller weiter, vermietete Equipment an Diskotheker, die mit ihrem Programm über die Dörfer zogen. Dann kam er ein Jahr lang in den Knast. Die Bäckers vermuten: wegen eines Freundes, der mit Biermann bekannt war. Fortan bekam Herr Bäcker keine Aufträge mehr. Das Ehepaar verlegte sich auf die Zucht von Blumen und Hühnern. Wären sie nicht schon zu alt, sie würden wegziehen, sagen sie. Ein Haus weiter wohnen immer noch die Leute, die vor zwanzig Jahren Zimmer an Stasimitarbeiter vermietet haben – auch an den, der Herrn Bäcker angeschwärzt hat. Aber es ist einfach zu schön hier. Herr Bäcker lacht uns schallend aus, als wir andächtig dem Gegacker seiner Hühner lauschen. Wir werden wiederkommen. Noch in diesem Sommer. SUSANNE MESSMER