: Mit Hotte auf der Piste
Wenn Köhler um die Häuser zieht: So volkstümlich war ein Bundespräsident noch nie
Sie nennen ihn den Neuen, den Weltökonom, den verlängerten Arm des Kapitals: Hotte Köhler. Der Mann mit dem Kniftengesicht und der chronischen Mundwinkelzerrung. Bei dem man immer an Kieferchirurgie denkt, wenn er sein „bubenhaftes Lachen“ (Süddeutsche Zeitung) lacht. Seit dem 1. Juli ist der dröge Neoliberale erster Mann im Staate. Hoffnungsträger heißen ihn die einen, Flitzpiepe die anderen. Er selbst will vor allem Ruck-Vollstrecker sein und, wo es nötig ist, an ein paar Grundwahrheiten erinnern. Dass zum Beispiel der Euro-Ball in Deutschland entwickelt wurde. Dass die Leibeigenschaft wieder eingeführt gehört. Dass die Erde eine Scheibe sei. Damit Deutschland bald wieder die erste Arschgeige spielt im globalen Orchester. Damit der Brückenschlag in die Zukunft gelingt. Damit die Deutschen im europäischen Haus blabla rhabarber rhabarber … Wahrheit-Autor Fritz Tietz hat dem schnörkellosen Schlacks einmal ganz privatim auf den schiefen Zahn gefühlt.
Treffpunkt: ein Biergarten irgendwo in der Berliner Hasenheide. Hier entspanne er gern mal nach Feierabend bei zehn, elf Humpen Gerstensaft, hatte mir Hotte Köhler am roten Bundespräsidententelefon verraten. Als ich mich am frühen Abend zu ihm auf die Biergartengarnitur geselle, fällt mir auf, dass Köhler überhaupt keine Leibwächter um sich hat. Wie das? Ob er etwa freiwillig auf Personenschutz verzichte? „I wo“, gnöselt der bereits leicht bierbeseelte Bundespräsident. Ihn erkenne sowieso keine Sau. Wozu da teure Bodyguards beschäftigen? Bitte. Ich solle gleich die Probe aufs Exempel statuieren.
Ich winke den Wirt heran. „Zwei Bier, bitte!“ – „Für mich auch zwei“, schnackelt Köhler. Der Wirt schnauzt ihn an: „Hör mal, komischer Vogel, willste mir verarschen?“ Darauf ich: „Erlauben Sie mal! Wie sprechen Sie denn mit dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland?“ – „Die schräge Type und Bundespräsident?“ Der Wirt muss einmal rau lachen. „Dann bin ich der Schah von Perversien.“ Er verpasst Köhler einen schmerzhaften Nasenstüber, ehe er sich trollt.
Ein beziehungsweise dreizehn Biere (Köhler) später, gehen beziehungsweise wanken wir zum nächsten Taxenposten. „In die ‚Orgel‘, aber dalli“, herrscht der deutsche Bundespräsident den exiliranischen Taxifahrer an. Der lüftet kurz seinen Schnurrbart und fragt: „Sie meinen ‚Orgel‘, Efendi? Fickfack-Club in Neukölln?“ – „Genau, du Pfeife“, orgelt ihm Köhler zu. „Und funk die Damen schon mal an. Die sollen den Whirlpool anheizen“, begniggelt er den Kutscher.
Fünf Minuten drauf fahren wir an dem Neuköllner Bordell vor. „Was denn, hundertdrei Euro und sechzig?“ Köhler verwechselt die Frequenzanzeige des Autoradios mit dem Taxameter. „Na egal, wir ham’s ja.“ Er wirft dem Fahrer drei Fuffziger zu. „Stimmt so!“ Der Iraner kassiert die deutschen Steuergelder, ohne mit der buschigen Augenbraue zu zucken, steckt mir seine Karte zu: „Falls noch mal Taxe heute. Du rufen mich an?“ Köhler ist derweil in den Puff getorkelt, um hier, wie er mir zuvor noch exklusiv zugeraunt hat, seinem Mittelstand mal wieder auf die Beine helfen zu lassen. Ich warte diskret vor der Plüschtür.
Drei Zigaretten später. Umwölkt vom Duft eines zuckerwattesüßen Nuttendiesels tritt Köhler wieder in die lauschige Neuköllner Nacht, erbricht sich erst mal in die Rhododendronbüsche des Parkplatzes. „So, und jetzt geht’s zum Abhotten ins ‚Crazy Horst‘. Da ist Oldie-Abend heute Nacht“, kodoffelt er. Sein Hosenschlitz steht auf halb acht. Die Krawatte ist mit Erbrochenem bekleckert. Schon fährt das Taxi wieder vor. Unser Exiliraner hat jetzt das Autoradio auf einen schiitischen Kurzwellensender geschaltet, das digitale Display zeigt die Frequenz 1.814. Köhler zahlt anstandslos auch diesen Fahrpreis. „Stimmt so“, schiebt er dem Chauffeur vier Fünfhunderter zu, als wir eine halbe Stunde später vor dem „Crazy Horst“ eintreffen.
In der gut besuchten Edeldisko krawallt der Lärm der Fünfziger- und Sechzigerjahre. „Gib mir ein Alcopop“, rabauzt Köhler den Barmann an, ehe er sich am Tresen einhakt. Glasigen Blicks sondiert er das Terrain. „Sieh mal einer an. Die Viadrina-Schnalle ist auch da“, registriert er alles andere als bedrückt. Tatsächlich. Unübersehbar ragt die blonde Pudelfrisur Gesine Schwans aus dem Tanzflächengetümmel. Sofort macht sich Köhler an die Frankfurterin ran: „Frau Mitbewerberin, darf ich um Sie werben?“ – „Aber, aber, Herr Köhler. Weiß denn Ihre liebe Gattin, dass Sie hier anderen Frauen den Hof pflastern?“ – „Was heißt hier liebe Gattin? Ich liebe nur Deutschland“, gnackelt Köhler, seinen Vorgänger Heinemann zitierend, worauf die Schwan aber so was von breit zieht. Wie ein Honigkuchennilpferd.
Der Rest ist Foxtrott und Gummitwist. Beim Engtanz verhüllt gnädig Trockeneisgewabere das sich heftig aneinander reibende Paar. Ich ziehe lieber Leine. Gott schütze unser deutsches Vaterland! FRITZ TIETZ