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Archiv-Artikel

Das ärgerliche Duell

Bei den US Open treffen heute die deutschen Tennisspieler Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer aufeinander

NEW YORK taz ■ Heute spielen sie gegeneinander um einen Platz in der dritten Runde der US Open, Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer, aber die Geschichte einer großen Rivalität lässt sich daraus beim besten Willen nicht konstruieren. Kiefer ist nicht Becker, Schüttler ist nicht Stich. Bisher hatten sie kein Problem, sich in der gemeinsamen Sprache zu verständigen, und sie bezeichnen sich sogar im weiteren Sinne als Freunde. Einig sind sie sich jedenfalls, was ihre vierte Begegnung auf dem Tennisplatz betrifft; beide verzichten auf die gern benutzte Floskel, das werde ein Spiel wie jedes andere sein. Obwohl er Favorit ist als Nummer sechs im Champions Race, Nummer acht in der alten Weltrangliste und in der Setzliste des Turniers, spricht Schüttler aus, was beide denken: Da gehe es schon ein bisschen ums Prestige in diesem deutschen Spiel.

Vor einem halben Jahr hätte er das vermutlich noch anders gesehen. Denn da verlor Kiefer nach der letzten von zahlreichen längeren Verletzungspausen fast jedes Spiel, und es gab nur gute Wünsche, aber kaum konkrete Aussichten, wie er herauskommen sollte aus diesem Tal. Ganz im Gegensatz zu Schüttler, der sich Ende Januar als Finalist der Australian Open endlich auch bei jenen einen Namen gemacht hatte, die ihn bis dahin nur am Rande wahrgenommen hatten neben den talentierteren, aber eben weniger konsequenten Kollegen Kiefer und Haas.

Schüttler ist auf dem besten Weg zu jenem Berg, von dem Kiefer schon mal die Aussicht genossen hat als Teilnehmer der ATP-Weltmeisterschaft 1999 (jetzt Masters Cup), damals in Hannover, und als Nummer vier der Welt zu Beginn des folgenden Jahres. Um sich für den Masters Cup der besten acht des Champions Race Anfang November in Houston/Texas zu qualifizieren braucht Schüttler noch ein paar Punkte – und demzufolge zunächst mal einen Sieg gegen Kiefer.

Man kann die Angelegenheit so betrachten, dass die Begegnung der beiden die Anwesenheit eines deutschen Spielers in Runde drei garantiert, doch mit dieser Einschätzung wird man der Entwicklung nicht gerecht. Bei allen Grand-Slam-Turnieren dieses Jahres hat Schüttler mindestens das Achtelfinale erreicht. „Ich habe das ganze Jahr über solide gespielt“, sagt er, „und warum sollte das ausgerechnet hier nicht so sein?“

Kiefers Jahresbilanz, bisher 15 Siege bei 12 Niederlagen (Schüttler 47:22), liest sich nicht berauschend, aber die Auftritte zuletzt bei den Turnieren in Nordamerika zeigen zum ersten Mal in diesem Jahr über eine einzelne Turnierwoche hinaus Anzeichen von Stabilität. Viertelfinale in Indianapolis, Halbfinale in Los Angeles und in der vergangenen Woche in New Haven – die Bilanz lässt ihn glauben, wieder in der Spur zu sein. Beim Sieg im ersten Spiel in New York gegen Franco Squillari hatte er weniger Arbeit als erwartet – der Argentinier gab selbst für Kiefer überraschend beim Stand von 3:6, 0:5 auf –, aber dass er die so gesparte Kraft gegen Schüttler brauchen wird, ist ihm schon klar. Schüttler sei der Favorit, sagt Kiefer, aber er fühle sich wohl, sein Spiel sei wieder stabiler und aggressiver geworden. Ergo: Ärgerlich sei so ein deutsches Duell in der zweiten Runde. Ärgerlich, weil von zweien, die auf den amerikanischen Hartplätzen zuletzt gut gespielt haben, nun mal einer ausscheiden muss.

Aber die nationale Komponente ist damit noch nicht erschöpft. Denn auch Schüttlers bester Freund und Trainingspartner Lars Burgsmüller ist weiter im Spiel nach einem Fünfsatzsieg gegen den Peruaner Luis Horna, und am Mittwoch versuchte der 19 Jahre alte Münchner Philipp Kohlschreiber sein Glück gegen David Nalbandian, Argentiniens Wimbledon-Finalisten aus dem vergangegen Jahr. Kohlschreiber hat sich in New York zum ersten Mal für ein Grand-Slam-Turnier qualifiziert, und nur mal so als Vergleich und als Versuch einer Relation: Rainer Schüttler war 22, als er zum ersten Mal auf der großen Bühne mitspielen durfte, und selbst das war, wie man jetzt weiß, längst nicht zu spät. DORIS HENKEL