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Archiv-Artikel

Ein klein wenig zu impulsiv

Eine Halsverletzung hatte sich eine Psychologin beim Streit mit einer Patienten-Mutter im Zentralkrankenhaus Ost zugezogen. Vor Gericht akzeptierte sie deren Entschuldigung. Eskaliert war der Disput, als das Personal die Tür abgeschlossen hatte

Von bes

Bremen taz ■ Frau Sch. ist wirklich ein wenig impulsiv. Schon vor Prozessbeginn hat ihr Verteidiger Mühe, sie zu beruhigen, als sie ihm berichtet, dass sie einer wartenden Zeugin vor seinem Eintreffen schon einmal kräftig den Marsch geblasen habe. „Ich hab der gesagt, dass sie nur lügt.“

Sie solle doch erst einmal still sein, sagt ihr Rechtsanwalt Norbert Habekost, und dass die Verhandlung nicht hier draußen stattfinde, in den Fluren des Amtsgerichts, das sagt er ihr auch. Aber Maria Sch. besteht lauthals darauf: „Das ist doch alles gelogen.“ Das Kleinkind auf ihrem Arm macht große Augen, sieben Monate ist es erst alt, und die dreijährige Tochter erzählt, dass das hier alles böse Menschen seien. Das hat ihr die Mutter in der Wartezeit nämlich beigebracht.

Ein wenig impulsiv ist Maria Sch. wirklich: Richter Peter Mertens weist sie mehrfach harsch zur Ordnung, während der Staatsanwalt die Beschuldigungen erläutert. Tatort: Das Zentralkrankenhaus Ost, vor gut zwei Jahren. Maria Sch. soll eine Psychologin tätlich angegriffen haben, die zu dem Zeitpunkt den ältesten Sohn der mittlerweise dreifachen Mutter behandelte. Maria Sch. habe die sitzende Frau am rechten Arm so heftig zu sich gerissen, dass deren Kopf zurück und dann vor, bis an ihr Knie geschleudert sei. „Halswirbeldistorsion“, zitiert die Staatsanwaltschaft den medizinischen Befund. „Das ist doch alles gelogen“, nichts getan habe sie der Frau, „ich habe sie nur geschubst“, unterbricht die Angeklagte den Vortrag erneut und bietet Staatsanwalt Stefan Wachsmuth an, es ihm vorzuführen.

Ein wackeliger Kinderwagen im Verhandlungszimmer, beige-grau gemustert, ein voll gestopftes Netz. Das Nuckelfläschchen steht auf der Anklagebank, es ist leer, die Kleine plärrt. Jetzt muss ein Schnuller her. Richter und Verteidiger verstricken sich in einen Disput. Habekost äußert Zweifel, ob das Verfahren so zumutbar sei, mit den beiden Kindern, das habe er noch nie erlebt. „Meine Mandantin“, sagt er, „ist ein wenig impulsiv.“ Sie halte die Normen des Mittelstandes nicht ein. Das sollten die Kleinen nicht miterleben müssen. Ob es da nicht besser wäre zu vertagen? „Das ist zuzumuten“, widerspricht Mertens energisch. Und auch die Angeklagte gibt Zeichen, sie wolle die Sache nun zu Ende bringen.

Ihre Version der Geschehnisse ist gar nicht so weit entfernt von dem, was die Staatsanwaltschaft geschildert hatte. Doch weist sie zwei wesentliche Unterschiede auf: Sch. will C., wie gesagt, nur geschubst haben. Vor allem aber gibt es eine Vorgeschichte: Sie hatte ihren Sohn doch nur besuchen wollen, mit ihm reden, bevor er weit weg, in Ostfriesland, in einem Heim untergebracht werden sollte. Während ihr Freund, bei dem Besuch anwesend, mit der Tochter draußen gewesen sei, hätte das Personal sie einfach eingesperrt. Dann erst sei der Streit eskaliert.

Kein souveränes Vorgehen, unbestritten. Aber die als Zeugin geladene Diplom-Psychologin C. bestätigt: „Wir haben die Stationstür abgeschlossen.“ Weil Sch. den Sohn mitnehmen wollte „und wir wussten, dass die Mutter das Kind nicht mitnehmen durfte.“

Nach einer Entschuldigung der Mutter zieht sie ihren Strafantrag zurück. Eingestellt wird das Verfahren wegen öffentlichen Interesses jedoch erst gegen eine Geldbuße. „Das war ja kein Privatstreit“, so Staatsanwalt Wachsmuth. Die Psychologin C. habe ihre Verletzung „gleichsam im Dienst für die Gesellschaft“ erlitten. „Wir müssen diese Menschen schützen.“ bes