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Archiv-Artikel

berliner szenen Ausdiskutieren?

Jein!

Vor der Kasse des Prinzenbads haben sich lange Schlangen gebildet: Ferienzeit plus Samstag plus Schweinehitze – da herrscht natürlich Ausnahmezustand. Plötzlich wird links eine weitere Kasse geöffnet, bloß für Einzelkarten, nein, Sie nicht, bloß für Einzelkarten! Panik entsteht. Einige tausend Menschen brechen aus den Nachbarschlangen und bilden blitzartig eine neue, die im Nu noch länger ist als ihre Eltern, in denen es auch Familienpässe gibt. Wir haben uns nicht verpokert und sind relativ weit vorne. Nach uns trifft eine Horde Kinder ein und quetscht sich vor uns in die Schlange, wo sie sich zu einem bereits vorhandenen Grundstock an Blagen gesellt. Sofort erhebt sich ein unüberhörbares Murren im Volk: hinten anstellen. Die Kinder wehren sich: Sie wollten und müssten mit den anderen zusammen rein. Höher wird die Tonlage im Klagelied der Gerechten, während es 20 Meter vor uns schreit: Bloß Einzelkarten hier – eine Kakophonie des Unwillens, es ist aber auch verdammt heiß.

Die Frage ist: So viele Kinder auf einmal vorne rein – geht das? Einerseits gehören sie – die ähnliche Größe beweist es – sichtlich zu den anderen. Aber: Wie viele Kinder soll man denn noch reinlassen, ab wann ist einfach das rechte Maß erschöpft? Ab vier, ab zehn, ab hundert? Wann ist das Reingelassenwerden und Dazugehören kein Reingelassenwerden und Dazugehören mehr, sondern Erschleichung von Positionsvorteilen? Wir befinden uns in einer gewohnheitsrechtlichen Grauzone, über die ich nicht entscheiden wollte – zum Glück habe ich eben die Schnauze gehalten. Alle sind im Recht und im Unrecht zugleich – wie am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Aber: Muss man das wirklich bis zum Ende ausdiskutieren? Ich denke, jein. ULI HANNEMANN