: „Die Flucht in die Bündnisverpflichtungen“
Deutschland braucht eine öffentliche Debatte über außenpolitische Interessen, sagt der neue Direktor der Gesellschaft für Auswärtige Politik
taz: „Deutsche Interessen“ spielen bei der außenpolitischen Diskussion hierzulande kaum eine Rolle. Tun sich die Deutschen schwer, egoistisch zu sein?
Eberhard Sandschneider: Ihre Frage unterstellt, die Diskussion über deutsche Interessen habe etwas mit Egoismus zu tun. Das ist falsch. Deutschland hat Interessen, auch wenn die Debatte darüber, welche von diesen die deutsche Außenpolitik verfolgen soll, nicht gerade enthemmt geführt wird.
Woher kommt diese Hemmung?
Von Beginn an setzte die deutsche Außenpolitik auf Multilateralismus und europäische Integration. Eine Strategie, die ihre Berechtigung hatte. Aber auch eine Strategie, die verhinderte, dass über deutsche Interessen geredet wurde. Der Verweis auf Bündnisverpflichtungen wirkt heute manchmal wie eine Flucht in Multilateralität. Damit macht man es sich aber zu einfach.
Multilateralismus bestimmt bis heute die Außenpolitik. Warum halten Sie ihn für Tarnzeug?
Multilateralismus ist nach wie vor wichtig für Deutschland. Er wird erst dann nutzlos, wenn man ihm das Wort redet, um nicht über nationale Interessen sprechen zu müssen. Diese Ambivalenz bekommen wir zu spüren, wenn in den multilateralen Bündnissen heftige Meinungsverschiedenheiten auftauchen. Dass dies passieren kann, haben wir lange nicht geglaubt. Aber während des Irakkriegs ist es passiert. Sowohl innerhalb der Nato als auch innerhalb der Europäischen Union.
Diese Zerwürfnisse werden gerade wieder repariert. Wo ist das Problem?
Überlegen Sie mal, wie unsere Nachbarn uns sehen. Für die sind wir ein mächtiger, einflussreicher und zentral in Europa gelegener Nationalstaat. Die erwarten von uns, dass wir Interessen haben, die sie mit ihren eigenen abgleichen können. Wir geben ihnen aber wenig, woran sie sich halten könnten.
Wir müssen also unsere eigenen Interessen formulieren, um unseren Bündnispartnern zu helfen?
Nicht nur. Es gibt auch eine innenpolitische Dimension. Wenn wir uns an die internationalen Krisen der letzten Jahre erinnern, dann standen wir immer wieder vor folgenden Fragen: Was tun wir? Wo engagieren wir uns? Wo schicken wir die Bundeswehr hin? Wer keine klare Konzeption hat, dem fällt es jedes Mal aufs Neue schwer, sich zu entscheiden, ob er sich an Projekt A oder B beteiligt. Der wird hier geschubst, der kriegt von dort eine Anfrage – der lebt immer von der Hand in den Mund.
Was ist verkehrt an Einzelfallentscheidungen?
Sie müssen für außenpolitisches Engagement innenpolitische Zustimmung erzeugen. Eine kohärente Strategie wird Ihnen das erleichtern. Sehen Sie sich doch die Begründungen für den geplanten Bundeswehreinsatz in Kundus an. Hinter wenigen scheinen langfristige Überlegungen zu stehen. Zumal wenn es an die Abschätzung der Kosten geht.
Welche Leitlinien könnten dieser Strategie zugrunde liegen?
Es kursieren ja jede Menge Schlagwörter: Stabilität, Menschenrechte, Wirtschaftsinteressen und so fort. Die Frage ist heikel, weil verschiedene Interessengruppen die genannten Einzelinteressen unterschiedlich gewichten.
Wie lautet Ihr Vorschlag?
Das ist ein Problem. Wer bin ich, dass ich im Alleingang bestimme, was deutsche Interessen sind? Wir brauchen darüber eine breite öffentliche Diskussion.
Worüber sollte geredet werden?
Wir brauchen eine flexible, aber verlässliche Festlegung unserer Möglichkeiten. Dazu gehört, dass wir uns mit unseren Partnern absprechen und die Arbeit teilen. Dann hätten wir auch die Möglichkeit, mal selbstbewusst nein zu sagen.
Der Kanzler würde entgegnen, er habe sich gerade die Freiheit geschaffen, eine eigene Meinung zu haben.
Daran besteht auch kein Zweifel. Das geben selbst amerikanische Kritiker deutscher Politik zu. Nach allem was ich über das Zustandekommen dieser Entscheidung weiß, bezweifle ich aber, dass ihr eine strategische Linie zugrunde lag. Ohne dass sie es kalkulierte, hat sich die Regierung einen größeren Handlungsspielraum verschafft.
INTERVIEW: P. SCHWARZ/M. BRAUN