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Archiv-Artikel

Gut sein ist nicht gut genug

Die Deutschen haben Angst, ihre Interessen zu definieren. Damit bescheren sie sich und der Welt mehr Übel als Segen

von PATRIK SCHWARZ

Das Schlechte an der deutschen Außenpolitik ist, sie will nur das Gute. Und wer wollte es den Deutschen verdenken, den Oberschurken des 20. Jahrhunderts? Nach allem, was sie falsch machten so viele Jahrzehnte, so viele Kriege lang, wollen sie nun alles richtig machen. Die Gelegenheit wirkt verlockend wie nie seit dem Zusammenbruch 1945: Die Geschichte hat ihnen mit der Einheit zugleich die Chance zum Neuanfang geschenkt. Mit der Vision eines friedlichen Europa haben sie gar ein Ziel, das jeden Einsatz zu lohnen scheint.

Eine neue Zukunft, eine neue, Berliner Republik und obendrein ein neues Jahrhundert: Das einundzwanzigste, meinen Politiker, Publizisten und Professoren in seltener Übereinstimmung, soll das bessere deutsche Jahrhundert werden. Doch so leicht lässt die Geschichte die Deutschen nicht von der Schippe springen. Sowenig es ihnen passt, gerade unter den Bedingungen einer globalisierten Welt kommen sie nicht darum herum, sich zu bekennen: Welche Interessen will Deutschland in der Welt verfolgen?

Bisher haben sich Politik wie Gesellschaft erfolgreich um eine Antwort gedrückt. An Stelle klar definierter Interessen trat die gute Absicht – sie ist das Leitmotiv deutscher Außenpolitik seit 1990. Zu weniger Militäreinsätzen hat dies nicht geführt, im Gegenteil.

Dabei unterschied sich Volker Rühe nicht von Scharping oder Struck: Ob Sanitäter in Kambodscha, die humanitäre Intervention im Kosovo oder die viel zitierte Befreiung der unterdrückten Frauen in Kabul – die Bundesregierungen der 90er-Jahre beriefen sich immer auf edle Anliegen. Dabei irren Kritiker, vor allem auf der Linken, die etwa das Kabinett Schröder/Fischer verdächtigen, die hehren Ziele nur als Vorwand für finstere Zwecke zu missbrauchen. Die Realität ist vertrackter: Das Motiv ist ernst gemeint und als solches honorig. Doch als Maßstab für internationales Engagement, militärisch wie politisch, taugt es nicht. Gerade weil rund um den Globus der guten Taten nie genug getan werden können, ist Krieg um der guten Sache willen noch uferloser als der Krieg gegen den Terror.

Mehr als zehn Jahre nach der Einheit fehlt ein klar definierter Maßstab, was die Bundesrepublik international tun und – wichtiger noch – was sie besser lassen soll. Ein Grund ist die weit verbreitete Überzeugung, die Definition nationaler Interessen führe zwangsläufig zu Nationalismus und Großmachtstreben. In einer domestizierten Gesellschaft wie der Bundesrepublik gilt aber eine umgekehrte Gefahr: Je weniger klar Außenpolitiker wissen, von welchen Interessen sie sich leiten lassen sollen, desto leichter sind sie in Gefahr, sich und das Land in internationalen Konflikten zu verstricken. Richtig verstanden können nationale Interessen Maßstäbe sein, an denen eine Gesellschaft ihre Politiker messen kann – oder von Abenteuern zurückpfeifen.

Ohnehin sitzen die Deutschen einer Selbsttäuschung auf: Ihre Opferbereitschaft ist viel geringer, als die große Zahl internationaler Bundeswehreinsätze nahe legt. Die Mehrheit der Bundesbürger lebt bisher in der Illusion, die Missionen der letzten Jahre hätten kaum Menschenleben gekostet, eigene wie fremde. Spätestens wenn der Blutzoll wahrnehmbar steigt, werden die Deutschen wissen wollen, was bisher nur Amerikaner oder Franzosen fragen: Warum mussten junge Leute sterben?

Der regelmäßige Verweis auf das europäische Projekt, wie er etwa von Joschka Fischer kommt, bietet da keinen Ausweg: Die EU ist eine Institution, kein Ideal, das Todesopfer rechtfertigt. Auch setzt sich auf europäischer Ebene das deutsche Missverhältnis zwischen Mitteln und Zweck eher fort. So wird in der EU wie dem transatlantischen Bündnis schon jetzt mehr über Instrumente für künftige Militärinterventionen geredet als über die Ziele, deren Erlangung sie dienen sollen. Die geplanten Eingreiftruppen von Nato und EU sind bereits im Aufbau, doch ihre Aufträge lesen sich immer noch so vage, dass selbst Saddam Hussein und Leonid Breschnew sie bereitwillig unterschrieben hätten: Demokratie und Freiheit fördern, überall und immerdar.

Bereits jetzt braucht man viel Verständnis, um in den außenpolitischen Positionen der Bundesrepublik einen roten Faden zu erkennen: Im Kosovo war ein UN-Mandat verzichtbar, im Irak angeblich unbedingt erforderlich, in Afghanistan ist es in Kabul unabdingbar, außerhalb der Hauptstadt soll es zur Not auch ohne gehen. Ähnliches gilt für die Einsatzorte: Im Kongo ist die Bundeswehr mit großer Selbstverständlichkeit dabei, mit Liberia hat sie sich nie auch nur planerisch beschäftigt.

Was sind die Maßstäbe?

Klug ist Außenpolitik, wenn sie mehr über ihre Grenzen nachdenkt als über ihre Möglichkeiten. In den Mediengesellschaften von heute ist das schwer durchzuhalten – gerade für eine Mitte-links-Regierung mit ihren Wurzeln in den Idealen grüner Weltverbesserung und roter Solidarität. Es erfordert die Klarheit, auch gegen die Fernsehbilder einer Krise zu sagen: Wir können nicht jedem helfen, der Hilfe braucht. Man kann diese Klarheit Härte nennen oder Kälte gegenüber dem Schicksal anderer Völker. Man kann sie auch Demut nennen: die Einsicht in die Begrenztheit eigener Möglichkeiten.