Kanzler kapert Kundus

Schröder will Bundeswehreinsatz in Afghanistan ausweiten und hält erweitertes UN-Mandat für „notwendig“. Bislang nur vereinzelte Kritik. Regierung schließt zivilen Einsatz in Herat nicht aus

BERLIN taz ■ Die Bundeswehr wird ihren Afghanistaneinsatz über Kabul hinaus ausdehnen. Zur Sicherung des zivilen Wiederaufbaus sollen noch in diesem Jahr etwa 250 zusätzliche Soldaten in die nordafghanische Stadt Kundus verlegt werden. Das beschloss das Sicherheitskabinett unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gestern. Als Grundlage der Entsendung strebt die Bundesregierung nach Angaben des Kanzlers ein erweitertes UN-Mandat für die bislang nur in Kabul stationierte Schutztruppe Isaf an.

Ein solches Mandat sei notwendig, sagte Schröder, und zwar „nicht nur aus Gründen der innenpolitischen Legitimation des Einsatzes“. Die Bundesregierung wolle den Kampf gegen den Terror im Rahmen der US-geführten Mission „Enduring Freedom“ und die UN-Mission für Sicherheit in Afghanistan (Isaf) auseinander halten. Der Kanzler zeigte sich zuversichtlich, dass der UN-Sicherheitsrat möglichst rasch ein neues Isaf-Mandat beschließt. Schröder wollte sich aber nicht darauf festlegen, ob dies eine unabdingbare Voraussetzung für den deutschen Einsatz in Kundus ist.

Noch vor einer Woche hatte Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gesagt, er sei sich mit dem Kanzler einig, dass ein neues Isaf-Mandat keine zwingende Voraussetzung für die Kundus-Mission sei. In der Bundesregierung geht man jedoch inzwischen davon aus, dass ein erweiterter Einsatz nur im Rahmen von „Enduring Freedom“ im Parlament nicht durchsetzbar wäre.

Die Regierung erwägt nach taz-Informationen auch die Entsendung eines rein zivilen Teams nach Herat in Westafghanistan. Fischer hat dem Sicherheitskabinett gestern dazu Überlegungen vorgetragen. Es ist aber noch kein Beschluss gefasst worden. In Herat könnten 30 bis 40 Experten aus Innen-, Außen- und Entwicklungshilfeministerium beim Aufbau ziviler Strukturen helfen. Wegen der geringen Gefährdungslage soll die Bundeswehr nicht eingesetzt werden.

Nach Kanzlerangaben wird das Kabinett nächsten Mittwoch einen Grundsatzbeschluss fällen. Der Bundestag könne erst abstimmen, wenn ein UN-Beschluss vorliegt. Im rot-grünen Regierungslager gab es gestern trotz der Orientierung auf ein neues UN-Mandat vereinzelt Widerstand gegen den Afghanistaneinsatz. „Ich halte es für falsch, dass auf die immer schlechter werdende Sicherheitslage in Afghanistan mit immer mehr Soldaten reagiert wird“, sagte der grüne Fraktionsvize Christian Ströbele der taz. Der grüne Abgeordnete Winfried Hermann bezeichnete die Kundus-Mission als „symbolische Handlung“. Sie sei kein Schritt hin zur Befriedung Afghanistans, sagte er zur taz. Der Fraktionslinke sieht für den gesamten Afghanistan-Einsatz „keine Perspektive“ mehr und fordert einen „geordneten Rückzug der Bundeswehr“. Union und FDP sehen erheblichen Klärungsbedarf. Es gebe eine Vielzahl offener Fragen, sagte CDU-Chefin Angela Merkel nach der Unterrichtung der Partei- und Fraktionsspitzen durch Schröder. Die Union würde sich aber „verantwortungsvoll“ verhalten. JENS KÖNIG

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