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Archiv-Artikel

Hessische Union entdeckt die Debattenkultur

Roland Koch ist nicht mehr die unumstrittene Galionsfigur. Und einzelne CDU-Abgeordnete schießen quer

WIESBADEN taz ■ Die hessische Union ein geschlossener Kampfverband? Das war gestern. Seit ihrem nur mäßigen Ergebnis bei der Landtagswahl Ende Januar und der Renaissance der FDP, der bei der Regierungsbildung „die drei wichtigsten Ministerien“ (FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn) überlassen werden mussten, gärt es bei den Christdemokraten. Man habe sich im Wahlkampf „nicht ausreichend um junge Menschen“ bemüht, kritisierte der Vorsitzende der hessischen Jungen Union (JU), Peter Tauber.

Tauber klagte bei Ministerpräsident und CDU-Chef Roland Koch die „längst überfällige Modernisierung der Partei“ ein und forderte weitere Korrekturen an der „überholten Programmatik“. Vor allem im Bildungsbereich und auf dem Felde der Energiepolitik gebe es erhebliche Defizite, schimpfte Tauber. Dass aktuell auch die Listenvorschläge des Landesvorstands der CDU für die anstehende Europawahl offen in Frage gestellt und für den Listenparteitag sogar Kampfkandidaturen angekündigt wurden – ein Novum in der Ägide Koch –, macht deutlich, dass Koch in seiner Partei nicht mehr alles im Griff hat. Die frühere Innen-Staatssekretärin Oda Scheibelhuber will sich beim Landesparteitag am 14. März in Marburg um Position drei bewerben und damit die vom Vorbereitungsausschuss vorgesehene Jutta Rüddenklau herausfordern. „Die demokratische Normalität hält auch bei der hessischen CDU Einzug“, höhnte Kai Klose, Geschäftsführer der Grünen im hessischen Landtag.

Auslöser für die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der CDU dürfte der magere Zugewinn von 0,4 Prozentpunkte auf nur 37,2 Prozent sein. „Wir hatten mit 40 Prozent plus x gerechnet – und dann diese Katastrophe“, merkte ein Fraktionsmitglied im Gespräch mit der taz gleich nach der Wahlniederlage bitter an. Die Sache müsse jetzt analysiert werden – „und zwar umgehend“.

Doch „umgehend“ geschieht zunächst nicht viel. Erst beim Parteitag Mitte März will man sich zur „Aufarbeitung“ der Geschehnisse rund um die letzte Landtagswahl in Klausur begeben, heißt es aus der Parteizentrale in Wiesbaden. Thema dürfte dann sicher auch das Desaster mit den vier „Abweichlern“ bei Kochs Wahl zum Ministerpräsidenten am 5. Februar sein – ein weiterer Beleg für die Unzufriedenheit auch innerhalb der Landtagsfraktion. Vor allem über die vielen Zugeständnisse an die FDP sowohl in Personal- als auch in Sachfragen während der Koalitionsverhandlungen war der Unmut groß. Auch Christian Wagner vom erzkonservativen Flügel der hessischen Union bekam sein Fett weg. Bei seiner Wahl für den Fraktionsvorsitz kassierte er sieben Gegenstimmen und eine Enthaltung.

Wie zerstritten die CDU ist, zeigte sich auch auf dem Kleinen Parteitag in Bad Camberg unmittelbar vor der Ministerpräsidentenwahl. Auch dort ist es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Delegierten sollten eigentlich nur den Koalitionsvertrag mit der FDP abnicken. Stattdessen forderten einige Teilnehmer lautstark und öffentlich die Berufung des bisherigen Justiz- und Kultusministers Jürgen Banzer an die Spitze eines neuen Ressorts. Der zuvor noch als „Hoffnungsträger“ gehandelte Doppelminister war nämlich wegen der Besetzung der Ministerien für Justiz und für Bildung durch die FDP ins Abseits geraten und sollte gar keinen Posten mehr bekommen. Doch Koch musste sich dem internen Druck beugen. Banzer wurde Sozialminister, verdrängte dort aber die bisherige Ministerin Silke Lautenschläger (CDU) an die Spitze des Landwirtschaftsministeriums. Lautenschläger wiederum verdrängte den bisherigen Ressortchef Wilhelm Dietzel – ins Nichts. Dietzel machte zwar gute Miene zum bösen Spiel. Seine auch in der Partei in Nordhessen angesehene Familie aber nicht. Wie erst jetzt bekannt wurde, traten seine beiden Söhne, seine Tochter und sein Schwiegersohn umgehend aus der CDU aus.

„Roland Kochs Machtbasis bröckelt Tag für Tag mehr“, feixte ausgerechnet Günter Rudolph, Geschäftsführer der SPD-Fraktion, die momentan bekanntlich ebenfalls nicht viel zu lachen hat.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT