: Zehnmal wird gezaubert
„Zum Schachspielen ist der Karpow nicht hier“. Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann erklärt der tazden Wettkampf des neuen Königs der Leichtathleten, Tom Pappas. Frank Ketterer hat gut zugehört
100 m: Mit seinen 10,8 Sekunden reißt der Amerikaner Tom Pappas zwar keine Bäume aus, muss aber auch nicht unzufrieden sein. Zumal Weltrekordler Roman Sebrle mit einer 11,00 beginnt, was für ihn eine herbe Enttäuschung ist. Wenn man 9.000 Punkte als Bestleistung hat und schon mal 10,60 laufen konnte, ist das eine Rückschlag, weil es bereits in der ersten Disziplin zeigt, dass bei ihm mit der Grundschnelligkeit etwas nicht stimmt. Das wird sich auch auf die anderen Disziplinen auswirken – und als Zehnkämpfer rechnet er das sofort hoch und überschlägt, was ihn das an Punkten kosten kann. Das ist ein ganz schön harter Knacks, den man sich da selbst mitgibt. André Niklaus, unsere deutsche Nachwuchshoffnung, fängt mit einer 11,19 an: Okay für seine Premiere bei einer großen Meisterschaft.
Weitsprung: Pappas springt mit seinen 7,62 m das, was er so springen kann. Sebrle hingegen kann eigentlich mehr als seine 7,64 m, andererseits haben sich die schon über die 100 m abgezeichnet: Ihm fehlt es tatsächlich an Geschwindigkeit, da kann er nicht viel weiter springen, außer er zaubert. Das aber ist ihm hier nicht gelungen. Die 7,21 m von Niklaus sind sehr, sehr passabel.
Kugelstoßen: Im Kugelstoßen hat sich Pappas sehr stark verbessert und ist zuletzt zu einem Serienstoßer über 16 m geworden. Von daher liegen seine 16,11 m im Rahmen. Für Sebrle sind 15,47 m hingegen eher im oberen Bereich. Das lässt ein bisschen darauf schließen, dass er im Training Sprint/Sprung etwas vernachlässigt und dafür im Wurf etwas mehr aufgedreht hat. Niklaus stellt mit 13,87 m eine neue Bestleistung auf. Dafür gibt es eine Eins plus.
Hochsprung: Da läuft es zum ersten mal richtig schlecht für Pappas. Er hat eine Bestleistung von 2,21 m und kann da mit den 2,09 alles andere als zufrieden sein. Zum Glück für ihn macht es Sebrle mit seinen 2,06 m nicht besser. Normalerweise kann man bei ihm locker einen Hunderter drauf setzen, dass er mindestens 2,12 m springt; hier hätte ich das Geld allerdings verloren. Pappas wie Sebrle werden spätestens ab jetzt ein genaues Auge auf den jungen Kasachen Dimitri Karpow werfen. Den hat vor dem Wettkampf keiner so richtig gekannt, und dann rennt der hier 10,72 Sekunden über 100 m, springt 7,75 m weit und nun 2,12 m hoch und führt damit. Also zum Schachspielen ist der nicht hier. Die 1,97 von Niklaus sind absolut im grünen Bereich.
400 m: Mit dem 400-m-Lauf fängt der Zehnkampf erst so richtig an. Wären die 400 nicht dabei, wäre das Ganze echt eine spaßige Veranstaltung; die ziehen einem den letzten Saft aus den Knochen. Davor hat man Schiss, und danach kann man sich vergessen. Dennoch gelingt es Pappas, mit 47,58 Sekunden richtig einen rauszuschrauben, das ist Bestleistung. Auch Sebrle kommt seiner Bestleistung mit 47,90 Sekunden ziemlich nahe, was nicht so richtig mit der fehlenden Sprintfähigkeit zusammenpassen möchte. Vielleicht konnte oder wollte er im Vorfeld tatsächlich nicht so viel Sprint trainieren und hat dafür etwas mehr für die Ausdauer und sein Stehvermögen getan. Beide werden aber erneut durch die 47,33 von Karpow getoppt, der den ersten Tag als Erster beendet.
110 m Hürden: Am Morgen des zweiten Tages fühlt man sich total eingerostet – und muss dann auch noch über Hürden laufen. Das Überraschende ist, dass es immer irgendwie geht. Bei Pappas geht es sogar sehr gut, mit 13,99 Sekunden läuft er fast Bestleistung. Für Sebrle beginnt hingegen auch der zweite Tag mit einer Enttäuschung: 14,25 Sekunden – das ist nicht gut genug für ihn. Immer mehr zur Bedrohung aber wird Karpow, der in 13,95 Sekunden wieder der Schnellste ist. Auch Niklaus macht seine Sache mit 14,50 Sekunden ganz gut.
Diskuswerfen: Beeindruckend, wie die sich die Scheiben um die Ohren hauen. Wobei es ja nicht einfach ist, von Hürden auf Diskus umzustellen: Bei den Hürden geht es hoch und runter und nach vorn, beim Diskus hingegen im Kreis – das koordinativ hinzukriegen, ist nicht so leicht. Pappas mit 46,94 m, Sebrle mit 47,47 m und auch Karpow mit 47,38 m kriegen das aber sehr gut hin. Karpow sieht hier für mich wie der sichere Sieger aus. Wer technisch so schlecht Hürden läuft und Diskus wirft, und dennoch so unendlich gut ist, dem kann eigentlich nichts passieren.
Stabhochsprung: Mit 5,10 m zeigt Pappas sich erneut von seiner besten Seite, während Sebrle mit 4,80 total enttäuscht. Karpow offenbart mit 4,40 erste Schwächen, ob körperlich oder nervlich weiß ich nicht. Vielleicht hat er es nicht so trainiert. Niklaus hingegen glänzt in seiner Paradedisziplin mit 5,10.
Speerwerfen: Das endgültige Ende von Karpows Goldträumen. Der hat sich da richtig abgeschossen. 47,53 m würden jedem das Genick brechen, da kann man vorher so viel Punkte machen, wie man will. Dass er mit dem Speer nur ein paar Zentimeter weiter wirft als mit dem Diskus, das gibt es eigentlich gar nicht. Pappas nutzt das gleich aus, kommt mit 65,90 erneut in den Bereich seiner Bestleistung und beweist damit seine Nervenstärke: Wenn’s drauf ankommt, kann er einfach einen raushauen. Auch Sebrle tut das mit 69,79. Wenigstens im Wurf kann er also kontern. Für Niklaus sind die 57,55 m kein Beinbruch, auch wenn er es besser kann.
1.500 m: Die Sache ist eigentlich schon vor dem Start gelaufen. Die Amerikaner trainieren zwar die 1.500 m nicht, für die besteht der Zehnkampf im Training nur aus neun Disziplinen. Unter 4:50 Minuten kann Pappas dennoch laufen – und mit 4:44,31 Minuten tut er das auch. Sebrle ist zwar um fast 10 Sekunden schneller, kann das aber dennoch besser. Niklaus kann mit seinen 4:28,84 zufrieden sein Wer nach zwei Tagen so eine Zeit läuft, ist schon ein zäher Bursche.
Fazit: Die 8.750 Punkte von Pappas sowie die 8.634 von Sebrle sind zwar ein gutes Ergebnis, aber doch ein bisschen schwächer, als ich es erwartet hatte. Die große Überraschung ist der junge Karpow mit 8.374 Punkten. Wenn der seine Schwächen im Stabhochsprung und Speerwerfen abstellt, wird das ein richtig Großer. Und André Niklaus ist mit 8.020 Punkten zwar knapp unter seiner Bestleistung geblieben, hat sich mit Rang acht aber in der Weltspitze etabliert. Das ist ein Superding für ihn.