piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Ass im Zeugenstand

Tony Blair ist ein Profi, Fragen auszuweichen. Gestern musste er sie stundenlang beantworten. Er knüpfte sein Amt an den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Wenn es gewesen wahr wäre, dass die Regierung das Irakdossier aufgebauscht hat, um Gründe für den Krieg zu haben, müsste er zurücktreten, sagte Tony Blair. Der britische Premierminister musste gestern vor dem Ausschuss von Lordrichter Hutton aussagen, der den Tod von David Kelly untersucht.

Der Wissenschaftler im Dienst des Verteidigungsministeriums hat sich Mitte Juli offenbar umgebracht, nachdem er von der britischen Regierung als Quelle für einen BBC-Bericht bloßgestellt worden war. In der betreffenden Radiosendung wurde behauptet, Blairs Kommunikationschef, Alastair Campbell, hätte dafür gesorgt, das Regierungsdossier vom vergangenen September aufzubauschen und die vom Irak ausgehende Gefahr zu übertreiben, um die Kriegstrommel besser rühren zu können.

Blair wurde vor dem Gerichtsgebäude von rund hundert Kriegsgegnern lautstark begrüßt. Es war erst das zweite Mal, dass ein Premierminister vor einem Untersuchungsausschuss erschien. 1994 musste der damalige Premier John Major vor der Scott-Untersuchung aussagen. Da ging es um verbotene Waffengeschäfte mit dem Irak.

Ein britischer Premierminister auf der Zeugenbank in einem Gerichtssaal ist ein ungewöhnlicher Anblick. Blair hatte sich auf diesen Tag gut vorbereitet. Seit er am Wochenende aus dem Urlaub aus Barbados zurückgekehrt ist, wurde er von Beratern und von Regierungsanwälten betreut. Es war eine neue Situation für ihn. Blair ist geübt darin, Fragen nicht zu beantworten. Bei seiner monatlichen Pressekonferenz ist es Journalisten nicht erlaubt, nachzuhaken, wenn Blair mal wieder ausweichend geantwortet hat. Bei der Hutton-Untersuchung war das gestern anders. Der Richter durfte so viele Fragen stellen, wie er wollte.

Die Befragung dauerte 2 Stunden und 20 Minuten. Zentraler Punkt war, wie Kellys Name als BBC-Quelle in die Öffentlichkeit gelangt ist. Blair sagte, er habe in „Schwierigkeiten“ gesteckt und sei zeitweilig unsicher gewesen, was die korrekte Verhaltensweise wäre. Ob er am 3. oder am 4. Juli zum ersten Mal von Kelly als möglicher Quelle gehört habe, wisse er nicht mehr, sagte Blair. Sein Dilemma war, dass der Ausschuss des Außenministeriums drei oder vier Tage später seinen Abschlussbericht über die Informanten für den BBC-Bericht vorlegen wollte.

Er sei von Anfang an gegen diesen Ausschuss gewesen, weil die falschen Leute darin wären, sagte Blair. Es stand zu befürchten, dass sie sich anhand parteipolitischer Differenzen spalteten. Außerdem wollte er verhindern, dass seine Berater dort aussagen mussten. Hätte er dem Ausschuss aber Kellys Namen vorenthalten, hätte man ihn der Vertuschung bezichtigt. Blair fügte hinzu: „Wir haben nach den Regeln gehandelt und den Rat von hohen Regierungsbeamten eingeholt.“ Er wollte ihnen jedoch nicht die Verantwortung zuschanzen: Man habe sich um einen gemeinsamen Standpunkt bemüht und zur Offenheit entschieden. „Es ist letztendlich meine Verantwortung“, sagte Blair. „Ich treffe als Premierminister die Entscheidungen.“

Allerdings habe er von dem Frage-und-Antwort-Spiel des Verteidigungsministeriums nichts gewusst. Dabei wurde den Journalisten erklärt, sie könnten den Namen der BBC-Quelle raten – wenn der richtige genannt werde, werde man nicken. „Die Grundidee war, dass man den Namen nicht offen nennen, aber auch niemanden in die Irre führen wollte“, sagte Blair. „Der Name wäre ohnehin irgendwann herausgekommen. Wir hätten höchstens etwas Zeit gewonnen.“

Als der BBC-Bericht am 29. Mai lief, war Blair in Basra, habe dort aber „möglicherweise eine Abschrift“ der Radiosendung erhalten. „Der Bericht schadete meiner Glaubwürdigkeit als Premierminister“, sagte er, und wenn dieser „wahr gewesen wäre“, dann müsste er „als Premierminster zurücktreten“. Deshalb habe man so hartnäckig für eine Entschuldigung seitens der BBC gekämpft. Die außergewöhnliche Menge an Dokumenten und Briefen, die Hutton der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, belegt, dass der gesamte Regierungsapparat monatelang damit beschäftigt war, diesen Streit mit den Medien für sich zu entscheiden. Der Guardian nannte es gestern eine „Besessenheit“. Nur von Blair gibt es keine E-Mails: Der Premier kann nicht mit dem Computer umgehen.