KUNSTRUNDGANG : Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Von 1994 an bereiste der 1964 in Ingolstadt geborene Fotograf Reiner Leist flächendeckend die Vereinigten Staaten. Er suchte hier Menschen, die ihm ein Kinder- oder Jugendbild gaben, dazu Auskunft über ihr Leben und das Land, in dem sie leben. Anschließend ließen sie sich von Reiner Leist fotografieren. Das Langzeitprojekt mündete in den Bildband „American Portraits“, der nun rund 100 Fotografien und Biografien versammelt, teils von prominenten Amerikanern, meistenteils aber von ganz gewöhnlichen Menschen. Den Schnappschüssen, wie man sie eben in Familienalben findet, stehen elaborierte Porträtstudien gegenüber, biografische Selbstauskünfte verbinden die Bilder. Tatsächlich ergibt diese Collage eine spannende Lektüre über Lebensläufe, wie man sie sich nur in den USA vorstellen kann. James Haspiel etwa war ein 16-jähriger Botenjunge in Manhattan, der bei Freunden oder auf der Straße schlief, als er sich aufmachte, sein Idol Marilyn Monroe im St. Regis Hotel um ein Autogramm zu bitten. Aus dieser Begegnung entstand eine Freundschaft, die bis zum Tod der Diva dauerte und den jungen Mann ohne Schulabschluss zum Buchautor machte. Doch jenseits solch ungewöhnlicher Geschichten sind es vor allem die Einwandererschicksale, die Berichte der indigenen Protagonisten und der Afroamerikaner, die das spezifisch amerikanische Lebensgefühl des Projekts jenseits vieler Klischees vermitteln. 34 Bildpaare sind nun im Deutschen Historischen Museum zu sehen, doch als Ausstellung funktioniert das Projekt überhaupt nicht. Die Fotos, hochgezogene Prints, sind in einem billig wirkenden Sepiaton eingefärbt und machen eine Lust am Schauen unmöglich. Die Textauszüge dazwischen sind oft wenig glücklich, also aussagekräftig, ausgewählt. Wer das Projekt verstehen will, ist auf den Prestel-Bildband angewiesen.